Regisseurin und Drehbuchautorin Sylke Enders im Gespräch
"Du bist dran"
Regisseurin und Drehbuchautorin Sylke Enders im Gespräch
Nach Studien der Soziologie an der Berliner Humboldt-Universität sowie der Gesellschaft- und Wirtschaftskommunikation an der Hochschule der Künste sammelte Sylke Enders zunächst als Regieassistentin Erfahrungen im Filmgeschäft, bevor sie von 1996 bis 2002 an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin Regie studierte. Gleich ihr erster Spielfilm – »Kroko« – wurde 2003 bei den Hofer Filmtagen uraufgeführt und unter anderem mit dem Deutschen Filmpreis in Silber ausgezeichnet. Hinzu kamen Nominierungen für den Europäischen Filmpreis und für den deutschen Nachwuchspreis First Steps.
Regisseurin und Drehbuchautorin Sylke Enders
© WDR/X-Verleih
Die Protagonisten in "Du bist dran" kommen einem sehr vertraut vor. Wo haben Sie diese Charaktere her?
Enders: Im Grunde genommen ist es bei mir wie bei den meisten Autoren, man sollte sich vorher überlegen, was man in ihrer Gegenwart kundtut, es kann zu 50 Prozent verwurstet werden. Und so war es auch in diesem Fall. In meinem Bekanntenkreis gab es tatsächlich Jemanden, der der Meinung war, dass sein Vater nach dem Tod der Mutter etwas zu schnell in einer neuen Beziehung gelandet ist. Die heftige Reaktion hatte mich verwundert und mich insgeheim vermuten lassen, dass sie mit noch ganz anderen Sachverhalten zusammenhing, die nicht sofort ins Auge fielen.
Das war der Ausgangspunkt für die Entwicklung des Drehbuchs?
Ich saß mit meiner Produzentin Maria Köpf im Café, wobei wir über diese und andere Familiengeschichten ins Gespräch gekommen sind. Währenddessen haben wir bemerkt, dass einige der Themen, die uns berührt haben, in engem Zusammenhang standen. Schließlich mündete das Ganze für mich in einem Auftrag, das Drehbuch für "Du bist dran" zu entwickeln. Viele der Details stammten aus den Erfahrungen und Erlebnissen aus meinem Umfeld. Selbst für den beruflichen Background Elisabeths stand eine Bekannte Pate. Mir war aufgefallen, dass ich nicht wenige Frauen kenne, die die eigentlichen Brotverdiener in ihren Familien sind. Dieser Sozialrollentausch birgt eine Menge Konfliktstoff, der es für mich wert war, in einem Drama erzählt zu werden, wobei ich mich für den »Hausmann« Peter als Hauptfigur entschieden habe.
Peter ist zwar selbst Familienvater, aber im Endeffekt immer noch sehr Sohn seiner Eltern. Vor allem seine Mutter scheint ihn geprägt zu haben: Er will sich um alles und jeden kümmern und sucht so nach Anerkennung.
Ja, das ist seine Chance, sich vor sich selbst und vor den anderen aufzuwerten, so wie es seine Mutter immer getan hat. Und dabei fragt er sich ständig: Was denken die anderen, was denken meine Eltern über mich? Anstatt sich zu fragen: Was denke ich über mich selbst? Denn er könnte ja auch sagen: "Ich habe beruflich etwas probiert, das hat nicht geklappt. Na und? So ist das Leben, dann eben weiter." Die Figur Peter aber hat eine Sicht der Welt, die sehr durch die Einstellung seiner Mutter bestimmt ist, denn sein Vater ist einer von vielen Vätern, die sich meist in die Arbeit geflüchtet haben. Peter lebt stark im Banne seiner mütterlichen Zuschreibungen, die er sich allmählich auch zu eigen gemacht hat: Ich bin nicht gut genug, ich verdiene keinen Respekt. So bleibt es nicht aus, dass er ähnlich wie seine Mutter Undankbarkeit für all seine Mühen erlebt und es als Kränkung empfindet, wenn er Kritik vernimmt. Es hört sich für ihn an wie ein Todesurteil. Alle unzufriedenen Gesten von Außen – wem sie auch gelten mögen – bezieht er auf sich. Und wenn zur verborgenen Enttäuschungswut noch aktuelle Probleme kommen, läuft auf einmal allerhand aus dem Ruder, ohne dass sich die Figur – so wie im Film – darüber im Klaren ist, was sie eigentlich dazu bringt, plötzlich so um sich zu schlagen und sich mit aller Kraft Respekt verschaffen zu wollen, den er sich im Grunde genommen selbst nicht zu geben vermag.
Der Wendepunkt in der Geschichte scheint die Szene zu sein, in der Peter in einem Homevideo sieht, wie sich sein angenommener Sohn Robby und sein Opa, Peters Vater, über ihre Träume unterhalten.
In der Geschichte greift Peter seinen Vater als vermeintlich Alleinschuldigen, als Bösewicht an, »bei dem es auch die Mutter so schwer hatte«. Dabei ist Peter nicht in der Lage, seine wahren Gefühle zu äußern, seinen schlichten Wunsch nach Nähe. Und auf einmal sieht er, dass ein 15-jähriger Junge es schafft, den alten Mann zu öffnen und sich auf Augenhöhe mit ihm zu unterhalten. Das berührt ihn, da kommen plötzlich ganz viele Gefühle zusammen. Da es Peter nicht gegeben ist, sich und sein Handeln im Zusammenhang mit den mütterlichen Schwächen zu sehen, bleibt die Mutter unangetastet. Weil er aber Irgendjemanden für seine Schuldzuweisungen braucht, dient eben sein Vater als Ventil. Bei ihm kann er die Schwächen genau festmachen; seine Ignoranz, Strenge und Abwesenheit und damit sein gestörtes Verhältnis zu ihm leichter erkennen.
Dass Peter so um sich schlägt, hängt ja auch damit zusammen, dass er sich in seiner Rolle des Hausmanns fremdbestimmt und nicht wertgeschätzt fühlt. Ist das ein Phänomen unserer Zeit – Männer, die nicht verkraften, dass nicht sie, sondern ihre Frauen das Geld verdienen?
Natürlich fehlt ihnen etwas. Die Frage ist, ob sie ihre Bedürfnisse kennen und sich getrauen, sie auch zu äußern. Es ist eine Sache, zu sagen: »Ich habe mich arrangiert. Was wollt Ihr denn?«, aber eine andere, es wirklich zu meinen. Egal, wie letztlich die Rollen verteilt sind, ob die Frau arbeiten geht oder der Mann – entscheidend ist, wie man damit umgeht und wie viel Respekt man voreinander hat. Eine Frau kann ihren Mann auch dann respektlos behandeln, wenn er das Geld nach Hause bringt.
Man ist zwar geneigt, im Streit der Eheleute mit Elisabeth zu sympathisieren, aber auch sie hat nicht immer Recht, hat ihre Schwächen.
Schwächen und Stärken sollten in jeder Figur zu sehen sein. Auch Elisabeth ist nicht nur stark oder hat immer Recht. Ich sehe sie als Jemanden, der sich mitunter für klüger als die anderen hält und mit ihren Glaubenssätzen auf eine Art argumentiert, dass man nicht an sie rankommt. Sie ist nun mal wirklich viel unterwegs, dem muss sie sich stellen. Und der Egoismus, den Peter ihr vorwirft, ist tatsächlich ein Teil ihrer Person. Sie wird durch Peter gezwungen, sich zu fragen, was ihr im Verhältnis zu ihren Kindern gerade verloren geht. Insofern finde ich, dass auch Peter ihr etwas vermitteln kann. Sie wird darüber nachdenken müssen, wenn er ihr entgegnet: "Wer hat hier Angst vor der Leere?" Das sind Sätze, die sie zwar nach Außen hin übergehen kann, die sie aber dennoch inne halten lassen. Darüber hinaus finde ich es immer ganz schön, wenn ein Film nicht eindeutig Partei ergreift und jeder etwas anderes in den Figuren sehen kann – je nachdem, welche persönliche Geschichte, welchen persönlichen Hintergrund er mitbringt.
Die Kommunikation zwischen den Eheleuten funktioniert nicht mehr...
Ich hoffe, dass man als Zuschauer darum bangt, dass die Beiden noch einmal eine gemeinsame Sprache finden und auf das Existentielle zu sprechen kommen, nämlich auf die ureigensten Gefühle. Lohnt es sich für die Beiden überhaupt noch zu kämpfen? Ist statt Liebe schon etwas anderes eingetreten, die Macht der Gewohnheit? Oder Abneigung? Nun, sie probieren es ja dann noch einmal. Aber ich verrate nicht, wie es ausgeht.
Wie wichtig war Ihnen, dass Lars Eidinger und Ursina Lardi das Paar in der Ehekrise spielen?
Um Lars Eidinger haben wir ganz schön gekämpft. Der junge Mann hat einfach viel zu tun. Und ich habe da so meine zwei, drei Frauen in dem Alter, mit denen ich gerne arbeite, und zu ihnen gehört Ursina Lardi. Es war viel wert, dass die beiden sich schon kannten und Lust verspürten, miteinander zu spielen. Ich hatte nicht wirklich Zeit zu proben. Und dann ist man schon darauf angewiesen, dass die Chemie stimmt. Ich hatte große Freude, den Beiden zuzusehen. Wobei Lars Eidinger zuerst gesagt hat: "Oh Gott, soll ich jetzt für 90 Minuten einen Nörgler spielen?"
Und was haben Sie darauf erwidert?
Ich habe ihn daran erinnert, dass ich als Regisseurin nicht so viel Wert aufs Spielen lege, sonders aufs Sein, und zu ihm gesagt: "Guck Dich an! Schau, wie wir Dich wahrnehmen. Da ist dieses leicht Verschmitzte, dieses Repertoire an Ironie und Sarkasmus, diese Art zu sprechen, mit der Du nicht gleich mit der Tür ins Haus fällst. All das macht Spaß. Und meine Wahl ist nicht umsonst auf Dich gefallen."
Also nix da mit 90 Minuten meckern.
Das hätte ich ja selbst nicht ertragen. Mir gefällt es sehr gut, dass ich mit und über Peter lachen kann und es trotzdem keine Komödie wird. Ich fühle auch seinen Ärger und seinen Schmerz.
Erstaunlich ist auch die Leistung der kleinen Johanna Scharf, die Peters und Elisabeths Tochter Laura spielt.
Es ist ihr erster Fernsehauftritt! Das Mädel ist grandios. Sie kam morgens an den Set und klopfte mir erst mal auf die Schultern: Na Sylke … Das ist so ihre Herzlichkeit, sie hat ein ungeheures Temperament. Und dann konnte ich mit ihr auch offen und ehrlich reden. Ich habe ihr zum Beispiel gesagt: "Johanna, Du weißt, es ist Fernsehen, aber lass’ diese Barbiestimme weg. Brauchen wir nicht, das machen andere Leute. Du bringst mir jetzt wieder die Johanna ins Spiel." Das hat sie sofort verstanden. Ich hatte meinen Sohn beim Casting dabei, weil ich ihn nirgendwo »parken« konnte. Er ist genauso alt wie sie. Ich habe ihn gebeten, ihr zu zeigen, wie man mit dem großen Bruder rangeln muss, bevor die älteren Jungs für die Rolle Robby hinzukamen. Später haben Johanna und mein Sohn unabhängig voneinander nach dem Casting gesagt, welcher von den 15Jährigen der beste für die Rolle Robbys sei. Beide haben sich für Liam entschieden. Das war schon magisch und dazu eine super Wahl.
Wie war die Zusammenarbeit mit den anderen Schauspielern?
Ich bin sehr dankbar, dass wir dieses wunderbare Ensemble für den Film gewinnen konnten. Und ich hatte beim Drehen wirklich das Gefühl, dass es eine Ensemblearbeit war, eine Arbeit, in der sich die Menschen wirklich wahrnehmen. Es ist eine besondere Energie, die von ihnen ausgeht und abfärbt. Es war mir eine Ehre, viele der Schauspieler – unter anderem Jutta Wachowiak, Ruth Reinecke und Horst Westphal – persönlich kennenlernen zu können, sie bestechen durch ihr authentisches, uneitles, tiefgehendes Spiel, ihre ungebrochene Leidenschaft, die so ansteckend ist. Einer ist nichts ohne den Anderen. Und das gilt für das gesamte Team. Auch die Zusammenarbeit mit Götz Schmedes, dem Redakteur, und Maria Köpf, der Produzentin, habe ich als sehr beflügelnd und aufregend empfunden. Als wir den fertigen Film gesehen haben, haben wir uns wirklich zusammen gefreut... Dabei fallen mir grad wieder gute alte Freunde ein, die nichts mit dem Film zu tun haben, uns aber trotzdem sehr geholfen haben.
Wie das?
Sie haben über ein halbes Jahr lang ihr Laub in einer Scheune gelagert. Ich hatte in weiser Voraussicht schon im Oktober alle angerufen und sie gebeten, 60 Säcke voller Laub zu horten, damit wir dann im April binnen Stunden aus einem Frühlingsgarten einen herbstlichen Garten machen können. Na ja, ich finde, das haben wir gut hinbekommen.
Stand: 10.07.2013, 15.00 Uhr