Statement von WDR-Redakteurin Corinna Liedtke

Das freiwillige Jahr

Statement von WDR-Redakteurin Corinna Liedtke

FilmMittwoch im Ersten, 27. Mai 2020, um 20.15 Uhr

Corinna Liedtke
© WDR

Ein Freiwilliges Soziales Jahr ist ein aufregender Schritt für junge Erwachsene – ein Abenteuer jenseits des bekannten Alltags, ein erstes Ausprobieren von Selbstständigkeit und das bewusste Loslösen vom Elternhaus. Für Urs und seine Tochter ist Jettes bevorstehende Abreise nach Costa Rica jedoch der Auslöser für die Zuspitzung eines schon länger schwelenden Konflikts. Kurzerhand haut Jette mit ihrem Freund Mario vom Flughafen ab und verpasst ihren Flug. Während Urs einerseits fassungslos und doch stoisch dabei ist, einen neuen Flug zu buchen, bleibt der Film zugleich auch bei Jette und ihrem emotionalen Dilemma. Zerrissen zwischen ihrer ersten großen Liebe und den Wünschen ihres Vaters scheint Jette nicht zu wissen, was sie selbst möchte.

Zu den intensivsten zwischenmenschlichen Erfahrungen gehören die Beziehungen zu unseren Eltern, unseren Kindern, aber auch zur ersten großen Liebe. Der Film thematisiert genau dieses Spannungsverhältnis. Urs möchte nur das Beste für seine Tochter. Während er seine ungelebten Träume auf sie projiziert, ist sie nicht fähig, eigene Entscheidungen zu fällen und sich gegen die Erwartungen des Vaters aufzulehnen.

Der Universalität der erzählten Emotionen kann man sich nicht entziehen. Wieviel Einfluss können und sollen Eltern auf den Lebensweg ihrer Kinder nehmen? Wie können junge Erwachsene herausfinden, was sie selbst wollen, wenn sie gefangen in permanenten Erwartungen anderer sind? Herausragend ist die darstellerische Leistung von Maj-Britt Klenke, die in ihrer ersten großen Fernsehrolle Jette spielt. Ihre große, aber gänzlich unaufdringliche Präsenz trägt den Film und lässt sie zum vielschichtigen Spiegel der Gefühle ihrer Generation werden. Eine Generation, die entgegen ihrem Ruf vielleicht doch genaue Vorstellungen davon hat, wie sie sich von ihren Eltern löst und dies auch tut – in ihrem eigenen Tempo.

Der Film nimmt sich immer wieder die notwendige Zeit, Momente nachklingen zu lassen. Dieser alltagsnahe und genaue Blick bei der Inszenierung ist auch für den Mittwochsfilm eine Besonderheit. Ulrich Köhler und Henner Winkler schaffen es, in ihrem leisen Drama nicht zu werten. Aber als Zuschauer*in ertappt man sich dabei, genau dies zu tun.

Es ist nicht nur der erste gemeinsam geschriebene und inszenierte Film von Ulrich Köhler und Henner Winkler, sondern auch der erste Fernsehfilm der Beiden. Ein außerordentlicher Erfolg war die Teilnahme des Fernsehfilms am Filmfestival von Locarno. Dort wurde die Idee konkret, den Film auch ins Kino zu bringen. So kommt er auf vielen Wegen zu seinen Zuschauer*innen – seit Anfang des Jahres war „Das freiwillige Jahr“ im Kino und ist nun im Ersten zur besten Sendezeit sowie in der Mediathek zu sehen.

Stand: 16.04.2020, 13.15 Uhr