Interview mit dem Autoren-Regie-Duo Henner Winckler & Ulrich Köhler

Das freiwillige Jahr

Interview mit dem Autoren-Regie-Duo Henner Winckler & Ulrich Köhler

FilmMittwoch im Ersten, 27. Mai 2020, um 20.15 Uhr

Ulrich Köhler und Henner Winckler

Ulrich Köhler und Henner Winckler
© WDR/Imago Images/Regina Wagner

Können Sie kurz skizzieren, seit wann Sie zusammenarbeiten und was diese Zusammenarbeit ausmacht?

Henner Winckler: Wir haben beide in den 90ern an der HfBK Hamburg Film studiert. Auch Patrick Orth, unser Kameramann, war dort. Schon damals haben wir uns bei Kurzfilmen gegenseitig beraten und geholfen. Das hat sich bis heute nicht geändert.

Ulrich Köhler: Henner hat zum Beispiel beim Casting von „Bungalow“ geholfen und war im Schneideraum ein wichtiger Berater. Das Urteil des anderen war uns immer wichtig, und bei uns beiden entstehen kreative Ideen oft aus einem Diskurs. Gemeinsame Regie hatten wir vorher noch nicht ausprobiert, aber durch die lange Zusammenarbeit kannten wir unsere gegenseitigen Stärken und Schwächen. Filmemacher müssen in kurzer Zeit Unmengen an Entscheidungen treffen, da kann es sehr hilfreich sein, die Verantwortung auf mehr als zwei Schultern zu verteilen. Die Hoffnung war, dass das auch kreative Spielräume öffnet. Dreharbeiten können schnell zu einem Prozess werden, bei dem es nur darum geht, Fehler zu vermeiden.

In einem Köhler/Winckler-Film zu spielen ist für Schauspieler*innen etwas ganz Besonders. Wie teilen Sie sich die Zusammenarbeit mit den Schauspieler*innen auf?

Henner Winckler: Die Kommunikation mit den Schauspieler*innen lief während dem Dreh meistens über einen von uns beiden und der andere saß am Monitor, um Feedback zu geben. Je nach Szene haben wir die Aufgaben getauscht. Wichtig war vor allem, dass die Schauspieler*innen nicht zwei unterschiedliche Ansagen gleichzeitig bekamen.

Ulrich Köhler: (lacht) Was nicht immer geklappt hat.

Sie hatten vor Drehbeginn eine Probewoche mit den Darstellern. Können Sie diesen Arbeitsprozess einmal beschreiben?

Henner Winckler: Wir haben den Schauspieler*innen ein Treatment ohne Dialoge gegeben und die Szenen improvisieren lassen. Diese Proben aber wir aufgenommen, ausgewertet und die so entstandenen Dialoge in das Drehbuch einfließen lassen.

Wie ist es Ihnen gelungen, den Szenen und Dialogen ein so hohes Maß an Authentizität zu verleihen?

Henner Winckler: Es liegt zum Teil sicher am eben erwähnten Probenprozess, dass die Sprache der Figuren realistisch wirkt. Es gibt aber auch Szenen, die komplett improvisiert sind, wie das Fastfood-Restaurant oder die Waschstraße.

Ulrich Köhler: Sehr wichtig war auch der ausführliche Casting-Prozess in Zusammenarbeit mit unserer Casterin Ulrike Müller. Uns war klar, der Film steht und fällt mit der Glaubwürdigkeit der Konstellation Vater-Tochter und der beiden Jugendlichen. Dafür hatten wir extra Szenen geschrieben, die so nicht im Film vorkommen.

War Ihnen von Anfang an klar, die Handlungszeit auf drei Tage zu konzentrieren? Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Ulrich Köhler: Der Film hat eine lange Vorgeschichte. Ursprünglich hatten wir ein episches Drehbuch über das Aufwachsen eines Mädchens in der Provinz geschrieben. Parallel dazu wollten wir den Verfall des VW-Busses erzählen. Ein Bully, der einmal als Glücksversprechen angeschafft wurde und doch nicht zum echten Ausbruch taugt. Das Drehbuch ließ sich aber nicht finanzieren. Im Gespräch mit der Redakteurin Corinna Liedtke sind wir auf die Idee gekommen, die Geschichte auf einen Moment zu konzentrieren. So ist dann ein neues Buch mit dem gleichen Konflikt entstanden. Im Nachhinein finden wir die Konzentration auf diese kurze Zeit sehr viel spannender.

Der Zuschauer fühlt sich den Figuren sehr nah. Das ist sicherlich auch ein Verdienst von Kammermann Patrick Orth. Was macht die Zusammenarbeit mit ihm für Sie so wertvoll?

Ulrich Köhler: Patrick Orth denkt in erster Linie dramaturgisch. Er hat ein starkes Bildgefühl, aber er würde nie aus rein stilistischen Gründen eine Einstellung wählen. Für ihn müssen Form und Inhalt übereinstimmen. Bei diesem Film war klar, dass wir nah an den Figuren sein müssen und dass die Kamera genauso getrieben sein sollte wie die Protagonisten. Es gibt nur wenige ausgewählte Momente, in denen sich Räume öffnen.

Inwiefern handelt es sich bei dem Film um ein Gesellschafts- oder Generationenportrait?

Henner Winckler: Wir glauben, dass unsere Generation sich oft für liberal hält, ohne es wirklich zu sein. Es scheint keinen großen Unterschied mehr zu den Kindern zu geben, alle scheinen sich zu verstehen. Wir verdrängen das Autoritäre in uns, da es im Gegensatz zu unserem Selbstbild steht. Wenn es sich dann zeigt, kann es sehr erschreckend sein. Das interessierte uns bei der Figur von Urs. Wenn sich das für andere zu einem Gesellschafts- oder Generationenportrait fügt, dann zeigt es, dass sich andere wiedererkennen.

Ulrich Köhler: Ich fühle mich unwohl mit dem Begriff Generationenportrait. Dahinter steht so ein feuilletonistischer Wunsch eine große, diverse Gruppe über einen Kamm zu scheren. Am besten kann man das an den 68ern sehen: Wieviel Prozent dieser Generation waren wirklich politisch aktiv und haben in Kommunen gelebt? Das war ein Bruchteil. Die meisten – und dazu zählen auch unsere Eltern – haben auch damals ein bürgerliches Leben geführt und bei der Wahl ihr Kreuz bei einer bürgerlichen Partei gemacht.

Hätte die Handlung auch in Berlin oder Köln verortet sein können?

Henner Winckler: Im Prinzip ja, aber die Provinz eignet sich besser für den Wunsch des Vaters, die Tochter in die weite Welt zu schicken.

Was ist für Sie die Kernbotschaft des Films?

Henner Winckler: Wir sehen unsere Aufgabe als Künstler darin, interessante Fragen zu stellen, nicht Botschaften zu verkünden. In diesem Fall hat uns die Beobachtung beschäftigt, dass der Versuch, das Glück der anderen zu erzwingen, fast immer schief geht. Aber der Umkehrschluss, dass man sich gar nicht mehr um seine Mitmenschen kümmern soll, ist sicher auch nicht richtig. Das ist für uns der Kernkonflikt des Films.

Stand: 16.04.2020, 13.15 Uhr