Interview mit Tim Oliehoek, dem Regisseur
Interview mit Tim Oliehoek, dem Regisseur
Tim Oliehoek
© WDR/jonnydepony
Herr Oliehoek, in der Welt „Arcadia“ bestimmen individuelle Scores in einem Überwachungsstaat über das Leben der Bürger. Was hat Sie dazu bewogen, bei dieser dystopischen Geschichte Regie zu führen?
Als ich das Drehbuch in die Hände bekam, konnte ich nicht aufhören zu lesen. Es ist so wunderbar clever aufgebaut, jede Szene ist durchdacht und nachvollziehbar. Gleichzeitig spielt die Geschichte in einer Welt der Entfremdung. Der Slogan: 'Du bekommst, was du verdienst' mag bizarr klingen, ist aber gar nicht so weit weg, wie wir denken; in China zum Beispiel gibt es ein ähnliches System. Dort hat der Staat auch die Kontrolle über seine Bürger.
Wodurch sollten die Hauptmotive, wie etwa die Außenwelt, das Labor oder die Wohnung der Mutter und Töchter in dieser Serie charakterisiert sein?
Wir haben uns eine retro-futuristische Welt vorgestellt, auch bekannt als Recycling-Welt. Schließlich ist „Arcadia“ nach einer Katastrophe entstanden, die technologische Entwicklung stand eine Zeit lang still. Der Gesamteindruck musste einen erkennbaren Vintage-Look haben, die Schauplätze und Gebäude sollten die gleiche Atmosphäre ausstrahlen. Wir haben nach Drehorten mit vielen grauen Farben und schroffen Gebäuden gesucht. Diese intensive Suche dauerte sechs Monate. Sie führte uns an sehr unterschiedliche Orte, wie etwa in ein Krematorium, in ein frisch renoviertes Museum, in soziale Brennpunkte. Aber das war es auf jeden Fall wert. Zusammen mit dem Drehbuch und der Besetzung bilden die Motive die Stärke der Serie. Zusammen bilden sie „Arcadia".
Warum eignete sich das „Phaeno" in Hannover, das in der Serie „der Schild“, die Polizeistation, darstellt, als Kulisse?
Wir waren der Meinung, dass „der Schild“, groß und gefährlich aussehen sollte. Das Phaeno Science Centre war eine gute Basis für das äußere Erscheinungsbild, das wir in der Postproduktion noch ein wenig optimiert haben. Wir fügten zwei zusätzliche Stockwerke hinzu, die natürlich auch das „Arcadia“-Logo enthielten. Für die Innenaufnahmen haben wir ein Studio in Vilvoorde, Belgien, gebaut.
Wie sind Sie auf den Cast gekommen, was sollte jeder Einzelne für seine Rolle mitbringen?
Die gemischte Besetzung aus niederländischen und flämischen Schauspieler:innen war für mich wirklich ein Traum. Gemeinsam haben sie die Geschichte erzählt und „Arcadia“ zum Leben erweckt. Es war wichtig, dass die Darsteller:innen genau wissen, was diese Welt ausmacht und welche Regeln das Leben darin mit sich bringt. Die Wahl zwischen Freiheit oder Sicherheit spielt im Hinterkopf der Figuren immer eine Rolle.
Wie würden Sie die Hauptfiguren kurz charakterisieren?
Die Serie erzählt die Geschichte der Familie von Pieter Hendriks, er ist Direktor des Algorithmusdienstes in dem fiktiven Staat „Arcadia“, ein Architekt des Punktesystems. Trotz seines Status‘ und seiner harten Arbeit ist er in erster Linie ein engagierter Familienmensch. Seine Frau, Cato Christiaans, ist die Mutter von Alex und Hanna. Sie wurde nach einem tragischen Vorfall Witwe und ist nun mit dem Witwer Pieter Hendriks verheiratet. Milly Hendriks ist die älteste Tochter von Pieter Hendriks. Sie ist eine ehrgeizige Beamtin bei der Polizei von „Arcadia“, eine geradlinige und pflichtbewusste Bürgerin, für die ihre Familie an erster Stelle steht. Luz Hendriks, die von ihrem Vater Pieter als „anders" angesehen wird, lebt in ihrer eigenen Welt und macht meistens das, worauf sie Lust hat. Sie hat immer ein behütetes Leben geführt, dank des High-Scores ihrer Eltern und ihres eigenen Scores, der von ihrem Vater manipuliert wurde. Alex Jans ist die Tochter von Cato Christiaans und schließt sich wie Milly der Polizei, „dem Schild“, an. Alex arbeitet hart für ihren Score und ist eine loyale Soldatin. Hanna Jans, die zweite Tochter von Cato Christiaans, ist angehende Ärztin, eine kritische und rebellische Mittzwanzigerin. In dem Krankenhaus, in dem sie arbeitet, wird sie mit der Ungerechtigkeit des Systems konfrontiert.
Diese Familie kommt in Kontakt mit Marco Simons, einem loyalen Agenten des „Schilds“, der die Einhaltung der Gesetze strikt überwacht. Sein Vater Simon, ein ehemaliger Journalist, ist ein sturer alter Mann, der trotz seines Alters immer noch hart arbeiten muss, um seinen Score zu halten. Marco untersteht der engen Kontrolle von Lena Harms, der im achten Monat schwangeren Revisorin bei The Visor, der Staatssicherheit. Sie hat sich in ihre Karriere gestürzt, nachdem sie ihre Mutter bei der damaligen Katastrophe verloren hat.
Die Zahl der Near-Future-Fernsehfilme nimmt zu, offenbar üben sie eine große Anziehungskraft auf die Zuschauer aus. Was ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür?
Ich denke, dass das Publikum in den letzten 10 Jahren daran gewöhnt wurde, Serien aller Art und jeden Geschmacks zu sehen. Das hat dazu geführt, dass wir jetzt auch in unserem Land mit verschiedenen Genres experimentieren können. Die Menschen lieben es, in eine andere Welt einzutauchen, um die reale Welt für eine Weile zu vergessen. Natürlich muss man als Filmschaffende wiedererkennbare Situationen und Alltagsprobleme liefern. Die Wiedererkennbarkeit sorgt dafür, dass der große Konflikt in einer Geschichte glaubwürdig wird. Es ist auch richtig, dass die technischen Mittel jetzt auch für uns zugänglich geworden sind. Vor nicht allzu langer Zeit konnte man das nur in großen amerikanischen Produktionen sehen.
Das Interview führte Gitta Deutz
Stand: 12.06.2023, 09.15 Uhr