Ein Gespräch mit WDR-Redakteurin Caren Toennissen, Produzentin Julia Röskau und Produzent Geronimo Beckers
„naked“
Ein Gespräch mit WDR-Redakteurin Caren Toennissen, Produzentin Julia Röskau und Produzent Geronimo Beckers

© WDR/Simin Kianmehr/privat
Warum ist es Ihnen wichtig, eine fiktionalen Serie zum Thema Sexsucht und Co-Abhängigkeit zu erzählen?
Caren Toennissen: Auf Basis des Serienkonzeptes war ich zunächst einmal angetan von der Sogkraft, die diese Geschichte direkt bei mir ausgelöst hat. Ich traf auf spannende, facettenreiche Figuren in einer sehr authentischen Welt. Die inhärente Komplexität des Lebens sowie die Liebes- und Leidensfähigkeit beider Charaktere – einerseits so suchend, so willig und dennoch immer wieder so zerrissen zwischen Paradies und verschlingendem Abgrund, haben mich wirklich tief berührt.
Auf den zweiten, eher analytischen Blick hat mich dann aber auch das Thema der systemischen Sucht- und Co-Abhängigkeitsstruktur fasziniert, denn: Wer kennt sie nicht? Die Sucht. Die (vermeintliche) Abhängigkeit. Nach Substanzen, nach Idealbildern, nach Ablenkung oder auch nach Sex. Zutiefst menschlich. Zutiefst freiheitsberaubend. Und eben überall. Dass die Hypersexualität erst seit 2019 von der WHO als Krankheit offiziell anerkannt wurde, zeigt, wie viel es hier aufzuklären gibt. Wir haben es bei „naked“ mit einem noch sehr ungesehenen, dabei relevanten und zugleich universellen Thema zu tun.
Geronimo Beckers: Erstaunlicherweise wurde das Thema Sexsucht noch gar nicht ernsthaft in deutschen Filmen und Serien erzählt. Wir haben uns vor allem deswegen daran gewagt, weil die Drehbuchautorin Silke Eggert die Geschichte, aufgrund persönlicher Begebenheiten als Angehörige, an uns herangetragen hat und wusste, wovon sie sprach. Mit „naked“ können wir die Krankheit, die in erster Linie durch Promischlagzeilen in der Regenbogenpresse bekannt wurde, mit der notwendigen Ernsthaftigkeit beleuchten und den Bogen schlagen zu den gesellschaftlichen Herausforderungen, vor denen gerade eine junge Generation steht. Unter anderem übt die ständige Verfügbarkeit von Sex im Netz einen großen Druck auf viele Menschen aus, angefangen bei Jugendlichen, deren Pornokonsum ins Ungesunde geht. Neben psychischen Problemen und unbeantworteten Fragen hinsichtlich der Geschlechteridentität tragen auch solche Aspekte dazu bei, dass die Krankheit Hypersexualität heutzutage immer häufiger auftaucht. Mit dieser realistischen und tragischen Liebesgeschichte möchten wir bei den Zuschauerinnen und Zuschauern ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Hypersexualität eine Krankheit ist und die Betroffenen sowie die Angehörigen deren Opfer sind.
Die Serie wird in der ARD Mediathek erst ab 16 Jahren freigegeben sein…
Caren Toennissen: Für mich bedeutet die FSK16-Einordnung in allererster Linie, dass wir einen guten Job gemacht haben. Denn eine große Liebesgeschichte zum Thema Sexsucht zu erzählen und dabei dann im FSK12-Gewand aufzutauchen, ist in meinem Verständnis ein inhärenter Widerspruch. Die FSK16 hat sich also ergeben, wir haben sie nicht geplant oder aus strategischen Gründen lanciert. Sie ist „passiert“, weil wir die Serie aufrichtig und glaubwürdig erzählen wollten. Ich bin daher zuversichtlich, dass wir unser gewünschtes Publikum erreichen und mit dem Thema sowie den uniquen Ingredienzien dort etwas bewegen können. Darum soll es bei unseren Serien für die ARD Mediathek gehen.
Mit welchen inhaltlichen und dramaturgischen Spannungsbögen schaffen Sie den Spagat aus mitreißender Unterhaltung und einem Beitrag zur Aufklärung?
Julia Röskau: Die wichtigste Frage, die über sechs Folgen in der Schwebe bleibt, ist die, ob Marie und Luis zusammen sein können und ob sie den gemeinsamen Kampf gegen die Sucht gewinnen. Darüber hinaus gibt es die Andeutung eines Crime Plots. Die Hauptfigur Luis wird verdächtigt, eine Vergewaltigung begangen zu haben. Plötzlich ist Marie nicht mehr nur Geliebte, sondern Agentin auf der Suche nach Wahrheit. Dass es die eine Wahrheit nicht gibt, ist jedoch eine der wichtigen Erkenntnisse, die „naked“ vermitteln soll. Während man den beiden Liebenden dabei zusieht, wie sie gemeinsam die Erfüllung ihrer Liebe herbeisehnen und gleichzeitig immer weiter in den Abgrund schlittern, bekommt man möglicherweise eine Ahnung davon, was die Sucht bei Menschen anrichten kann und dass sie dafür nicht verurteilt werden sollten.
Welche Herausforderungen gab es bei der Entwicklung und Produktion von „naked“?
Geronimo Beckers: Die Drehbuchentwicklung war ein äußerst spannender Prozess und hat allen Beteiligten einen neuen Kosmos und neues Wissen eröffnet. Durch die Stärke des Drehbuchs, Grauzonen zu beleuchten und authentische Figuren zu schaffen, und durch unseren wunderbaren Hauptcast gelingt es, die Figuren emotional absolut nahbar und nachvollziehbar zu gestalten. Diese schauspielerische Leistung war eine große Herausforderung während der Produktion. Svenja Jung und Noah Saavedra waren in der dreimonatigen Drehzeit nahezu in jeder Szene anwesend, was allein schon sehr sportlich ist. Hinzu kamen die vielen Sexszenen, die auch emotional enorm herausfordernd waren, und für die zusätzlich neben den Dreharbeiten, noch viel geprobt werden musste. Der Regisseurin Bettina Oberli ist es mit ihrer einfühlsamen Art gelungen, gemeinsam mit dem Kameramann Julian Krubasik und der Intimacy Koordinatorin Philine Janssens eine sehr vertrauensvolle Atmosphäre am Set herzustellen.
Caren Toenissen: Besonders herausfordernd war es sicherlich auch, diesen schmal Grat aus „notwendiges Maß an Darstellung von Sexualität“ zu treffen, ohne dabei zu explizit, zu reißerisch oder auch voyeuristisch zu sein. Auch fand ich es herausfordernd, die Figur Luis so zu erzählen, dass man an seinem Schmerz, seiner Brüchigkeit, seiner Sehnsucht nach einem „normalen Leben“, dran bleiben möchte. Wir wollten vor allem das Gesicht und die Wahrheit hinter der Fassade erzählen. Wichtig und herausfordernd war in diesem Kontext dann auch, die Idee von „Heilung“ zu erzählen. Dass das eben immer auch eine Option ist. Sicher ein schwerer, langer, schmerzhafter Weg, der nicht immer gelingt. Aber definitiv einer, für den man sich dennoch entscheiden kann.
Stand: 20.08.2025, 11.00 Uhr