Interview mit Jenny Schenk, Ehrenpreisträgerin
Interview mit Jenny Schenk, Ehrenpreisträgerin
Der Ehrenpreis des DEUTSCHEN KAMERAPREISES 2025 geht an die Kamerafrau Jenny Schenk, die für den WDR unter anderem mehr als 22 Jahre in den Auslandsstudios Washington D.C, Moskau und Nairobi arbeitete. Nach ihrer zweijährigen Ausbildung zur Facharbeiterin für Kopierwerkstechnik in Ostberlin studierte Jenny Schenk von 1979 bis 1982 an der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg. Beim Fernsehen der DDR war sie als Kamerafrau vor allem in der Kinder- und Jugend-Abteilung tätig, drehte dort auch Videos mit Musikgruppen wie City und Die Zöllner und lotete gern die Toleranzgrenzen der Staatssicherheit aus. Kurz nach dem Mauerfall zog Jenny Schenk 1990 mit ihrem Mann nach Köln und arbeitete für den WDR, zunächst frei, dann als festangestellte Studiokamerafrau für Unterhaltungsshows und Konzerte.
Die Bewerbung für ein Auslandsstudio brachte sie nach Washington D.C. (1994-1997). Es folgten Entsendungen nach Nairobi (2004-2009), Moskau (2011-2021) und erneut Nairobi (2023-2024). Ihrem ersten Kriseneinsatz nach dem Bombenanschlag in Oklahoma City (1995) folgten viele weitere: Den langanhaltendsten Kriseneinsatz hatte sie mit Beginn der Unruhen auf dem Maidan und ab dann an vielen Orten der Ukraine und Weißrusslands. Vor ihrer Kamera saßen weltpolitische Größen wie der russische Präsident Wladimir Putin und der amerikanisch-russische „Whistleblower“ Edward Snowden, doch optisch und inhaltlich reizten sie vor allem „Tabuthemen“ wie das Sterben oder die LGBTQ-Bewegung.

© WDR/Jenny Schenk
Wie sind Sie zum Film gekommen?
Ich habe in Potsdam-Babelsberg zunächst eine andere Fachrichtung studiert, dann aber durch den Kontakt mit den Kamerakollegen gemerkt, dass mich die Arbeit mit der Kamera viel viel mehr interessiert und begeistert. Ich bin froh, dass ich damals die Fachrichtung gewechselt habe.
Wie kam es 1994 zu Ihrem ersten Auslandseinsatz für den WDR?
Die Möglichkeit, in einem Auslandsstudio zu arbeiten, hat mich fasziniert. Ich dachte: Das musst du einfach mal ausprobieren. Das hast du noch nie gemacht! Für mich, die hinter der Mauer groß geworden ist, klang es unglaublich, dass ich mich für ein Land wie Amerika beruflich bewerben konnte. Und dann tatsächlich das Land zu bereisen, war ein echtes Highlight für mich. Dazu kam noch die Herausforderung, eine andere Sprache zu lernen. Englisch hatte in meiner Schulzeit so gut wie keine Rolle gespielt.
Der Bombenanschlag in Oklahoma war 1995 Ihr erster Kriseneinsatz – und es sollten noch viele weitere folgen. Haben Sie diesen Nervenkitzel bewusst gesucht?
Nein. Anfangs wollte ich keine Kriseneinsätze drehen, weil ich dachte: Das ist doch Wahnsinn, sich freiwillig in so eine Situation zu begeben. Wenn man aber einmal damit anfängt, wächst man allmählich hinein und merkt, wie wichtig es ist, an Grenzen zu gehen und über den Tellerrand zu schauen. Die Berichterstattung aus dem Ausland ist eine der wichtigsten Aufgaben des WDR. Die Auslandsstudios informieren über Orte, an die viele von uns niemals kommen, die aber unser Leben in Deutschland stark beeinflussen.
2004 gingen Sie erstmals nach Nairobi. Wie haben Sie die Arbeit dort empfunden?
Ich fühlte mich zunächst wie ein Fremdkörper in den afrikanischen Ländern. Man hat eine andere Haarfarbe, eine andere Hautfarbe, man kommt mit einem technischen Gerät und will Bilder drehen. Das macht auch was mit dem Gegenüber. Das kann wie eine Grenzüberschreitung sein. Die Menschen haben ihre Privatsphäre, die es zu beachten gilt. Da muss man sehr feinfühlig schauen, was man mit der Kamera drehen darf und wann man auch mal die Kamera lieber runternehmen sollte.
Welcher Kriseneinsatz in Afrika ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
In Nairobi gab es Unruhen zur Wahl. Wir sind in die Slums gegangen. Dort lagen die ersten Leichen. Ich habe mich in dem Moment selbst gefragt: Wie kann ich das drehen, dass die „Tageschau“ es senden kann? Ich habe darauf geachtet, dass die Bilder eine gewisse Ästhetik und dennoch, die entsprechende Aussage der Situation widerspiegeln. Danach war ich über meine Sachlichkeit erschrocken. Aber genauso muss man es machen: Die Bilder müssen eine Würde haben und dürfen nicht reißerisch sein, aber sie sollen die Botschaft transportieren, dass da Dinge passieren, die nicht passieren dürfen. Menschen umzubringen oder Kriege anzufangen, ist keinesfalls normal. Das treibt einen auch hinter der Kamera um.
Muss man in solchen Extremsituationen die eigene Emotionalität abschalten?
Die Gefühle zurückzuhalten, wäre für mich der falsche Weg. Das könnte ich auch nicht! Meine Gefühle haben mich gelenkt, Bilder einzufangen, die auch manchmal ausdrücken, was ich in dem Moment empfinde. Diese Schocksituation, diese Unbeholfenheit, die wirkt sich zwar innerlich aus, aber ich wollte auch rational und professionell bleiben. Das Leben besteht nun mal aus extremen Kontrasten und extremen Situationen, dazu gehören auch Krisensituationen. Solche Gefühlserlebnisse hat man auch oft im Team miteinander geteilt.
Wie wichtig ist die Arbeit im Team, vor allem bei Auslandseinsätzen?
Ich arbeite gern in einem Team. Ich denke, man merkt es einem Film an, ob alle Gewerke miteinander kommuniziert haben oder ob nur jeder sein eigenes Ding gemacht hat. Es erzählt die Geschichte stimmiger, wenn man Bilder dreht, die den Inhalt mit unterstützen. Und ich selbst bin inspirierter, entsprechende Bilder überhaupt zu sehen.
Von 2011 bis 2021 arbeiteten Sie im Auslandsstudio Moskau. War das ein weiterer Herzenswunsch?
Merkwürdigerweise wollte ich nie nach Moskau, weil ich in der Schule Russisch als Pflichtfach lernen musste. Ich fand das immer so übergestülpt. Aber dann habe ich überlegt, welches weitere Auslandsstudio spannend für mich sein könnte. So ging ich also doch nach Russland. Das hat etwas mit mir und meiner Geschichte zu tun. Russland war immer der große Bruder der kleinen DDR, und tatsächlich habe ich schnell einige Parallelen entdeckt: einerseits der Zusammenhalt der Menschen und die Geselligkeit, andererseits die Probleme, seine kritische Meinung öffentlich äußern zu dürfen.
Wie sah Ihre Ausbildung zur Kamerafrau aus?
Das war ein Direktstudium an der Filmhochschule in Potsdam Babelsberg mit Abschluss: Kameramann! Beim DDR-Fernsehen liefen wir dann nach unserem Abschluss, durch alle Abteilungen. Das hat sehr dazu beigetragen, Respekt für die Arbeit anderer Gewerke zu haben. Und so konnte ich sogar manchmal, wenn nötig auch selbst den Ton machen.
Sie haben zunächst für das Fernsehen der DDR gearbeitet. Was haben Sie dort gedreht?
Ich war hauptsächlich in der Kinder-Jugend-Abteilung. Die hatte mich besonders durch die Vielfältigkeit der Themen interessiert. Wir wollten gern sozialkritische Videos produzieren, aber es war in der DDR nicht gern gesehen, kritisch zu sein. Also mussten wir uns etwas einfallen lassen. Wir mussten kreativ sein und haben die Kritik mit einer bildlichen Metapher-Sprache umgesetzt.
Was war die positive Seite an der Ausbildung und Arbeit in der DDR?
Ich muss sagen, in der DDR habe ich sehr viel gelernt. Ich habe eine vollumfassende Ausbildung bekommen. Wenn ich dieses Studium und auch diese Ausbildung beim DDR-Fernsehen nicht gehabt hätte, wäre es mir sicherlich schwerer gefallen, gleich im Westen Fuß zu fassen.
Im Jahr 1990, kurz nach dem Mauerfall, zogen Sie in den Westen. Vor welchen Herausforderungen standen Sie?
Die großen Herausforderungen waren, eine Wohnung zu bekommen! Und, eine Firma zu finden, in der ich den Beruf, den ich liebe, wieder ausüben kann. Das war auch der Grund, warum wir in die Medienstadt Köln gezogen sind. Mein Mann hat bei RTL angefangen, und ich hatte zunächst beim WDR als freie Kamerafrau gearbeitet. Später habe ich dann eine Festanstellung als Studiokamerafrau bekommen.
Haben Sie Unterschiede in der Arbeitsweise festgestellt?
Ich fand die Einteilung der zwei Abteilungen merkwürdig. Entweder gab es die Abteilung der Studio- oder, die der Reportage Kamera. Das war ich nicht gewohnt. Also entschied ich mich zunächst für das Studio, weil ich dort direkt eine Stelle als Kamerafrau bekam.
Die Kameras sind im Laufe der Jahre immer kleiner und leistungsstärker geworden. Hat das Ihre Arbeit beeinflusst?
Ich finde es sehr gut, dass die Technik sich verändert. Ich habe festgestellt, dass das Drehen mit kleinen Kameras ein Riesenvorteil sein kann. Irgendwann hat es sich ergeben, dass wir in Kriseneinsätzen mit Fotoapparaten gedreht haben. Man ist dann fast unsichtbar. Diese Entwicklung kommt uns allen zugute.
Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf 35 Arbeitsjahre beim WDR zurück?
Der WDR hat mir die Möglichkeit gegeben, mich weiterzuentwickeln. Mit Seminaren und vielen Einsätzen in sehr brisanten Regionen hat er mir ein völlig neues Aufgabengebiet zugetraut. Dabei immer wieder die eigenen Grenzen – beruflich und persönlich – zu finden, war für mich eine echte Bereicherung.
Gibt es ein einzelnes Projekt, auf das Sie rückblickend besonders stolz sind?
Mir fallen sehr viele Filme ein, aber vor allem erinnere ich an ein Feature über das Sterben. Ich weiß noch, dass manche meiner Kollegen ganz entsetzt waren und mich fragten: Jenny, dass du dieses Thema drehen kannst? Ich persönlich finde es ganz wichtig, Tabuthemen aufzugreifen, aber ich kann auch verstehen, dass man manchmal an eigenen Grenzen kommt. Tabuthemen sind eine Verantwortung, die mich persönlich sehr reizt. Menschen, die sich trauen, drehen zu lassen, möchte ich mit meinen Bildern versuchen gerecht zu werden.
Sie haben mit vielen namhaften Journalistinnen gearbeitet. Wären Sie selbst gern Journalistin geworden?
Ich hätte mir vorstellen können, selbst Journalistin zu werden. Aber das wäre nicht mein Traumberuf gewesen. Mein Traumberuf ist Kamerafrau!
Stand: 02.06.2025, 14.00 Uhr