Karlotta Ehrenberg (Drehbuch)
„Tatort“ aus Köln „Restschuld“
Karlotta Ehrenberg (Drehbuch)
Karlotta Ehrenberg, Autorin, geboren 1979 in Bonn, schreibt hauptsächlich für den Film. Zudem berichtet sie als Journalistin u.a. für die Deutsche Presse-Agentur und die taz. 2022 ist ihr erstes Sachbuch erschienen: „Ich mach mich fertig. Vom ewigen Schuften am persönlichen Glück“. FILM / FERNSEHEN (Auswahl): „Tatort – Marlon“ (2022), „Der Kriminalist – Scherbentot“ (2018), „Besuch für Emma“ (2015)
© privat
Das Schicksal von Menschen in Not, die ihre Schulden nicht zurückzahlen können oder die rüden Praktiken der Inkasso-Büros. Was hat Sie zu diesem Drehbuch inspiriert?
Inkasso-Post, die ich vor einigen Jahren bekommen habe. Abgesehen davon, dass die Forderung keine Berechtigung hatte, war ich über den Ton des Absenders und seine unverhohlenen Drohungen zutiefst erschrocken. Dank einer Beratung bei der Verbraucherzentrale konnte ich das Problem zum Glück leicht abwenden. Jedoch habe ich mich gefragt: Was ist mit Menschen, die das Wissen über diese Beratungsmöglichkeit nicht haben, oder es wegen Alltagsstress, psychischen oder anderen Beeinträchtigungen nicht schaffen, sich rechtzeitig Beratung zu holen?
Tatsächlich hat meine Recherche gezeigt, dass man sehr leicht in die Schuldenfalle gerät. Ist die Inkassomaschinerie einmal in Gang gesetzt, wird das Problem immer schlimmer. Die Inkassoproblematik betrifft auch viel mehr Menschen als jene, die in der Schuldnerstatistik auftauchen. Die meisten Leute zahlen einfach, sie prüfen gar nicht nach, ob Forderung und Verfahren rechtmäßig sind bzw. können das auch gar nicht einschätzen. Oft zahlen sie sogar jahrelang, ohne dass sich die Forderung wegen der hohen Inkassokosten spürbar verringert.
Das System Inkasso funktioniert also Dank des Schreckens, den es bewusst erzeugt. Hier wird nicht nur eine Schuld eingetrieben, sondern Kasse gemacht. Viele Praktiken, die hierzulande angewendet werden dürfen, sind moralisch höchst zweifelhaft. Auch haben die Deutschen ein besonders emotionales Verhältnis zu Schulden, die Schuld an den Schulden wiegt ebenso schwer wie die Scham darüber. Wer sich aber schämt, behält das Problem meist für sich und sucht sich keine Hilfe, das wissen Inkassofirmen, und das machen sie sich zunutze. In der Konsequenz ist das höchst tragisch. Denn ohne Unterstützung haben Schulden für die Betroffenen oft schwerwiegende Folgen, auch und vor allem jenseits des Finanziellen – Trennung, Krankheit oder sogar Tod sind hier keine Seltenheit.
Man hat das Gefühl, der „Tatort – Restschuld“ passt genau in unsere Zeit. Warum ist das so?
Am Anfang des Projekts, im Spätsommer 2022, standen wir am Beginn einer „Energiekrise“, auch die Inflation nahm ordentlich an Fahrt auf. Ich habe damals viele Gespräche mit Schuldnerberater:innen geführt. Einer sagte mir, dass ihm ganz anders werde, wenn er die vollen Restaurants sehe, sicher würden viele Menschen ihre Rechnungen nun mithilfe eines Dispos oder anderen Kredits begleichen, den sie womöglich nicht oder nicht vollständig zurückzahlen können werden. Oder sie griffen auf Erspartes, ihre Renten oder Lebensversicherungen zurück, wichtige Rücklagen also, die ihnen im Fall einer Notsituation fehlen werden – Krankheit, Arbeitsplatzverlust, Trennung und dauerhaftes Niedrigeinkommen sind die Hauptursachen für Überschuldung. Das kann jeden treffen.
Die Zahl der überschuldeten Deutschen bildet das Schuldenproblem nicht ab. Auch schlagen sich Menschen meist jahrzehntelang mit ihren Schulden herum, ehe es zum völligen Bankrott kommt. So sind Schuldnerberatungen heute etwa immer noch mit Fällen beschäftigt, die ihren Ursprung in der Finanzkrise 2008 haben.
Dass viele Zuschauer:innen an der ein oder anderen Stelle dieses Tatorts ein Déjà-vu erleben werden, hat außerdem damit zu tun, dass Schulden und Überschuldung inzwischen viel breitere Teile der Bevölkerung betreffen als früher, die Mittelschicht ist das neue Klientel der Schuldnerberatungsstellen. Auch wird vielen Leuten die Problematik der Konsumkredite bewusst sein. Käufe nach dem beliebten „Buy-now-pay-later“-Prinzip, per Ratenzahlung oder Minikredit wirken für sich genommen harmlos, in der Summe und in Verbindung mit Inkasso verliert man darüber jedoch leicht die Übersicht und landet schnell in einer Schuldenspirale.
Nach dem Überfall auf den Inkasso-Manager gibt es unter den Schuldnern eine ganze Reihe Verdächtiger gibt. Wie gelingt es Ihnen, die Spannung in diesem Krimi hochzuhalten?
In jeder der drei Schuldnergeschichten, die ich in diesem Tatort erzähle, finden wir eine tragische Verkettung der Ereignisse, die zu Ohnmacht, Verzweiflung und Wut führen - beste Voraussetzungen für einen Krimi. Ich wollte dicht an den Figuren erzählen, was ihre Situation so ausweglos und verzweifelt macht, dass wir um sie ernsthaft bangen müssen. Zu einer unterschwelligen Spannung führen auch die Geheimnisse, die mit Schuldnergeschichten stets einhergehen; was hier jeweils verschwiegen und versteckt wird, bleibt bis zum Schluss offen. So wie natürlich auch die Frage, ob das Opfer tot oder "nur" schwer verletzt ist.
Stand: 29.11.2024, 12.00 Uhr