Thomas Hitzlsperger

UEFA EURO 2024

Thomas Hitzlsperger

Thomas Hitzlsperger – von Fans wegen seines strammen Schusses liebevoll „Hitz the Hammer“ genannt – spielte in drei europäischen Top-Ligen: in der Bundesliga (VfL Wolfsburg, VfB Stuttgart), der italienischen Serie A (Lazio Rom) und der englischen Premier League (FC Everton, West Ham United und Aston Villa). Mit dem VfB Stuttgart gewann der gebürtige Münchner 2007 die Deutsche Meisterschaft, mit der deutschen Nationalmannschaft erreichte er 2006 bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land den dritten Platz. Zwei Jahre später wurde er Vize-Europameister. Von 2016 bis 2022 war Thomas Hitzlsperger in unterschiedlichen Funktionen für den VfB Stuttgart tätig, zuletzt bis März 2022 als Vorstandsvorsitzender. Als TV-Fußball-Experte kam er erstmals 2015 beim Bayerischen Rundfunk zum Einsatz. Für die ARD war er beim Confed-Cup 2017 und bei der Fußball-WM 2018 in Russland dabei. Als er im Februar 2019 Sportvorstand beim VfB Stuttgart wurde, beendeten er und die ARD ihre Partnerschaft – vorläufig. Im November 2022 lief im Ersten seine On-Reportage „Katar – warum nur?“, und auch als Experte meldete er sich in der ARD zurück. Thomas Hitzlsperger ist Botschafter für Vielfalt beim DFB, engagiert sich darüber hinaus für Toleranz, Inklusion und gegen Diskriminierung. Im Januar 2024 erschien sein vielbeachtetes, gemeinsam mit Holger Gertz geschriebenes Buch „Mutproben“.

© WDR/Sebastian Arlt

Die EURO im eigenen Land: Auch für Sie persönlich etwas Besonderes?

Bei dem letzten großen Turnier hier in Deutschland, der Weltmeisterschaft 2006, war ich ja als Spieler dabei. Mir wurde damals immer wieder erzählt, was für eine tolle Erfahrung das auch für die Fans war. Für mich ist es wirklich etwas Besonderes, so ein Ereignis jetzt auch mal als Fan mitzuerleben – also halb als Fan, halb als Experte. Auf diese ganz spezielle Atmosphäre eines großen Fußballturniers freue ich mich extrem.

Und auf welche Mannschaften und welche Spieler freuen Sie sich besonders?

Also erst mal natürlich auf die deutsche Mannschaft. Ich bin nach den Testspielen gegen Frankreich und die Niederlande gespannt, wie wir das Turnier bestreiten werden. Und dann natürlich die französische Mannschaft, sie ist für mich einer der Top-Favoriten. Ich mag es, Kylian Mbappé zu sehen, seine Dynamik, die Art, wie er Fußball spielt; auf ihn freue ich mich besonders. Außerdem das englische Team. Ich habe ja einen starken Bezug zu England, ich war jetzt auch zuletzt beim Testspiel gegen Belgien in Wembley. Auf die Mannschaft bin ich gespannt, da sind viele gute Talente dabei. Vielleicht gelingt es ihnen ja diesmal, den großen Erfolg zu schaffen und Europameister zu werden.

Warum stimmt die Regel, dass am Ende immer die Deutschen gewinnen, nicht mehr?

Wir haben den Nimbus, bei einem Turnier am Ende immer vorne zu landen, sicherlich eingebüßt. Auch der deutsche Fußball muss sich immer wieder neu erfinden. Wir haben vor einigen Jahren in der Ausbildung angefangen, den Schwerpunkt mehr auf das Spielerische, das Technisch-Taktische zu legen. Wir haben deshalb Top-Fußballer, das muss man einfach so sehen. Aber vielleicht ist dadurch, dass wir den Fokus verändert haben, das kraftvolle Spiel ein Stück weit verloren gegangen; dieses Bewusstsein, ein Spiel auf Biegen und Brechen gewinnen zu wollen. Ich finde es richtig, einen klaren Fokus zu haben. Aber man muss konstatieren, dass die deutsche Mannschaft international jetzt ganz anders wahrgenommen wird. Man respektiert uns für gute Fußballer, aber man fürchtet uns nicht mehr vor einem Turnier, wie das lange Zeit der Fall war. „Am Ende gewinnen sie ja sowieso irgendwie“ – das ist einfach vorbei.

Und warum könnte die Regel bei der EURO 2024 vielleicht trotzdem wieder Gültigkeit bekommen?

Weil sich, denke ich, wirklich viele Deutsche auf diese Europameisterschaft freuen. Eine super Stimmung kann die Mannschaft beflügeln und durch ein Turnier tragen. Wir haben ja 2006 gesehen, wie schnell Vorfreude und Begeisterung auf das Team überschwappen können. Zu Hause zu spielen ist definitiv ein Vorteil. Euphorie lässt die Spieler nicht kalt. Natürlich wäre ein gutes Auftaktspiel extrem wichtig, um diese Euphorie aufkommen zu lassen.

Wenn Deutschland wider Erwarten nicht Europameister wird: Welche Mannschaft schafft es, und warum wird sie es schaffen?

Der Favorit ist Frankreich. Daran ändert auch unser Sieg beim Testspiel nichts. Davon bin ich überzeugt, weil ich nach wie vor so viele gute und herausragende Einzelspieler in der französischen Mannschaft sehe. Aber auch bei England sehe ich viele solcher Spieler. Und sie waren bei der letzten Europameisterschaft schon nah dran am Titelgewinn. Neben Deutschland würde ich als letztes noch Portugal nennen. Die haben eine Wahnsinnsqualifikation gespielt, jedes Spiel gewonnen, nur zwei Gegentore kassiert …Also die würde ich schon auch auf dem Zettel haben. Das Schöne ist, dass die Mannschaften – anders als beim Vereinsfußball – von der Leistungsfähigkeit nah beieinander sind. Es gibt ein breites Feld von Teams, bei denen man sich vorstellen kann, dass sie gewinnen.

© WDR/Sebastian Arlt

Worauf werden Sie besonders achten, wenn Sie sich bei der EURO in Ihrer Funktion als Experte ein Spiel anschauen?

Die Aufgabe ist, dem Publikum etwas zu vermitteln, was es vielleicht selbst nicht auf den ersten Blick erkennt. Als ehemaliger Fußballprofi blicke ich noch einmal anders auf das Spiel. Mir fallen vielleicht Dinge auf, die andere nicht so schnell erkennen, ob das jetzt taktische Elemente sind oder das Besondere, das einzelne Spieler mitbringen. Nun ist es allerdings so, dass es unter den Zuschauer:innen sehr viele Menschen mit großem Fußballfachwissen gibt. Denen noch etwas Neues zu erzählen, das gelingt nicht immer. Aber das ist mein Anspruch. Wichtig ist zudem eine gewisse Leichtigkeit. Es geht ja nicht zuletzt auch darum, dass die Leute unterhalten werden, dass sie gerne zuschauen und zuhören. Wenn ich an die WM in Katar denke, wie sehr die vielen Begleitumstände auf die Stimmung gedrückt haben – davon ist diese Europameisterschaft frei. Das fällt es sehr viel leichter, Fußball unterhaltsam und mit Freude zu begleiten.

Was muss auf und neben den Plätzen geschehen, damit Sie am Ende sagen: Die EURO 2024 hat mir Spaß gemacht?

Natürlich braucht es begeisternde Spiele. Und davon abgesehen … Bei der WM 2006 haben wir festgestellt: Die Fans aus den teilnehmenden Nationen kommen mit Vorfreude hierher. Sie freuen sich auf die Spiele, auf ihre Mannschaften und auch darauf, das Gastgeberland kennenzulernen. Das sind wunderbare Voraussetzungen für eine gelungene EM. Ich hoffe, dass viele Freundschaften geschlossen werden, dass die Gäste merken, wie gastfreundlich wir Deutschen sein können, und dass sie sich für Deutschland begeistern. Die Leute sollen einfach vier Wochen lang eine gute Zeit miteinander haben, so wie bei der WM 2006. Das war ein tolles Ereignis, ein tolles Turnier.

Stand: 19.04.2024, 12.00 Uhr