Bester Podcast: Leonhard Koppelmann – „V13“
Deutscher Hörbuchpreis 2024
Bester Podcast: Leonhard Koppelmann – „V13“
© WDR/Verlag
Kurzbeschreibung:
Der achtteilige Podcast „V 13“ basiert auf der literarischen Gerichtsreportage von Emmanuel Carrère, der den Prozess um die Terroranschläge vom 13. November 2015 jeden Tag verfolgt hat.
Jurybegründung:
Lässt sich ein neun Monate dauerndes Mammut-Gerichtsverfahren zu einem der brutalsten Terroranschläge mit Würde in acht Podcast-Folgen nachzeichnen? Leonhard Koppelmann gibt in seiner Umsetzung des Berichts eine souveräne und berührende Antwort: Er hat den Text akustisch brillant verdichtet und so beinahe plastisch erfahrbar gemacht; er hilft uns, ein nahezu unvorstellbares Verbrechen nüchtern zu analysieren und gleichzeitig dem unerträglichen Leid respektvoll Raum zu geben. So ist ein bedrückendes und beeindruckendes Mahnmal zu Ehren der weit über 100 Toten und Verwundeten dieses Anschlags entstanden, das in seinen grundsätzlichen Fragestellungen weit über den Gerichtssaal hinausweist.
Zwei Fragen an Leonhard Koppelmann:
© WDR/Annika Fußwinkel
Was war der ausschlaggebende Punkt, diese Reportage als Podcast umzusetzen? Haben Sie eine persönliche Verbindung zu den Vorfällen?
Ich hatte vor der Beschäftigung mit Emmanuel Carrères außergewöhnlichen "chronique judiciaire“, keinen direkten Berührpunkt mit den schrecklichen Anschlägen vom 13. November 2015 in Paris. Natürlich hat mich dieser Anschlag damals sehr erschüttert, wie auch die Anschläge in Madrid, Amsterdam, London, Moskau, Toulouse, Istanbul, Burgas, Brüssel, Nizza, Berlin. Ja, die Erinnerung an Bataclan kehrte sofort zurück, aber wann hatte ich das letzte Mal an die Anschläge in Brüssel gedacht? Als mir das bewusst wurde, war mir sofort die Wichtigkeit dieses Projektes klar: erst die Auseinandersetzung in einer literarischen „Echokammer“ ermöglicht uns – über das kurzfristige Erschrecken, über die emotionale Betroffenheit, die plötzliche Vernichtungsangst hinaus – die Zusammenhänge zu reflektieren und eine Haltung zu gewinnen. Emmanuel Carrère hat in „V13“ keine Dokumentation vorgelegt, sondern uns einen Reflexionsraum geöffnet, um über das konkrete Ereignis hinaus über die Zusammenhänge von Gewalt, Leid, Sühne und Vergeltung nachzudenken. Er zeigt uns, dass man nicht Gerichtsreporter sein oder einen Verlust durch die Anschläge beklagen, noch Teil der islamischen Gemeinschaft sein oder aus den Banlieues von Paris stammen muss, um sich emphatisch, reflektiert und offen einem komplexen Thema nähern zu können.
Das Verdienst, dass wir überhaupt „V13“ in dieser Form realisieren durften, gebührt dem Dramaturgen und Redakteur der Produktion, Manfred Hess. Seine Arbeit ist ein herausragendes Beispiel dafür, welche besonderen Möglichkeiten und Chancen Radioarbeit sowohl in der Vermittlung von Kultur, als auch bei wichtigen gesellschaftlichen Fragen hat.
Die Jury lobt den besonderen Einsatz von Musik und Sound: Welche Wirkung wollten Sie durch die akustische Umsetzung erzeugen?
Das freut mich sehr! Mich verbindet mit dem Komponisten und Musiker zeitblom eine lange und enge Zusammenarbeit. In diesem speziellen Fall bekommt seine Musik besondere Rolle: sie übernimmt die Funktion, die in meinen Produktionen sonst Geräusche und Soundcollagen übernehmen. Uns war sehr früh klar, dass wir keine filmische „Bebilderung“ für „V13“ wählen würden, Emmanuel Carrère hat keinen Bericht geschrieben, den wir mit Gerichtssaal und sonstigen realistischen Geräusch-Verortungen beglaubigen mußten, sondern einen Text in dem Prozessbeschreibung, konkrete und übergeordnete Reflexionen, freie Assoziationen und Abschweifungen in einem stream of consciousness zusammenfließen. Deshalb kommt zeitbloms Komposition hier die Aufgabe zu abstrakte Räume zu schaffen, Themen zu klammern, Gedanken zu akzentuieren – und nach Möglichkeit so, dass sie nicht als Illustration oder emotionale Verdopplung wahrgenommen wird.
Hier möchte ich mich aber auch nochmal bei den Schauspielerinnen und Schauspieler besonders bedanken, Maren Eggert, Constanze Becker, Alexander Simon und natürlich Ulrich Matthes schaffen mit ihrer Stimmführung etwas ähnliches. Sie springen in virtuosen Wechseln zwischen den Aussagen von Opfern, Polizistinnen, dem Gericht oder Zeugen hin und her. Sie bringen sie uns alle unterschiedslos nahe - aber so, dass wir uns nicht an einer oder einem festhalten, sondern alle hören. Ulrich Matthes gelingt es dieses Sprachoratorium dann zu führen und zu strukturieren, er hält einerseits den Ablauf der Ereignisse zusammen, macht komplexe Zusammenhänge gedanklich nachvollziehbar und schafft Strukturen in diesem Gedankenstrom, die uns konzentriert in seiner Erzählung festhalten. In diesem Sinne sind die Schauspielerinnen und Schauspieler hier auch Teil einer Komposition, einer Sprachmusik.
Stand: 05.03.2024, 22.00 Uhr