Interview mit WDR Redakteurin Anke Hirschel
Interview mit WDR Redakteurin Anke Hirschel
Anke Hirschel
© WDR/Annika Fußwinkel
Wie war der Start in diesen besonderen Fernsehfilm?
Als Autor und Regisseur Ingo Haeb mit Produzent Ingmar Trost von Sutor Kolonko ein Langzeit-Spielfilmprojekt zum Thema Heimat und Heimatverlust in unserer Zeit hier im WDR vorstellten, waren sie mit Kameramann Olaf Hirschberg schon inmitten von Recherche und Vorproduktion. Denn als im Januar 2018 die Kirche in Immerath abgerissen wurde, haben sie Johanna Gastdorf spontan in die Bäckereifachverkäuferin Marita verwandelt und die ersten Szenen für den Film gedreht. In der Summe sollte dann der Bogen vom Abriss des „Doms“ in Immerath bis zum Abriss der Heilig-Kreuz Kirche in Keyenberg abgebildet werden, was damals einen Zeitraum von vermutlich fünf Jahren umfassen sollte. Seinen Anfang nahm dieses Projekt bei uns in der Redaktion also nicht mit ein paar Seiten Papier – wie sonst üblich – sondern mit einem Teaser, an dem schon sehr gut sichtbar wurde, wieviel hier mit langem fiktionalem Atem an Potenzial drin stecken könnte.
Die Entscheidung für das Projekt war also auch ein Schritt ins Risiko. Was hat die Redaktion am Ende überzeugt?
Die Idee des Autors, nicht mit einem fertigen Drehbuch ans Set zu kommen, sondern die Geschichte organisch mit dem Ensemble und in der Auseinandersetzung mit den realen Erfahrungen der Keyenberger wachsen zu lassen, klang vielversprechend und spannend. Erzählerisch begibt man sich in eine Ungewissheit, die viel gemein hat mit der Ungewissheit, um die es hier geht: das Leben an einem Ort, der sozusagen auf Abruf existiert. Das hat uns im WDR sofort fasziniert. Dem Publikum eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema auf diese ganz besondere Art und Weise zu ermöglichen, passt sehr gut zu unserem Profil als öffentlich-rechtlicher Sender. Ähnlich wie im Film gab es dann auch im Programmbereich Veränderungen: Redakteurin Lucia Keuter ging in Rente, ihre Nachfolgerin Corinna Liedtke in Elternzeit und schließlich übernahm ich das Projekt, als wir noch Dreiviertel der Strecke vor uns hatten.
Hat sich der Weg aus Ihrer Sicht gelohnt?
Auf jeden Fall. Das Versprechen, das Ingo Haeb 2018 gegeben hatte, kein tristes Requiem auf den Ort zu erzählen, ist meiner Meinung nach aufgegangen. Marita ist eine positive und komische Figur, eine „Stehauffrau“, eine, die sich nicht unterkriegen lassen will. Nach jedem Rückschlag sucht sie nach neuen Quellen für ihr Glück. Und so schafft es diese Figur, für einige lichte, warme und berührende Momente im Verlauf der Geschichte zu sorgen.
Ist die Langzeitbeobachtung nicht eigentlich eine Domäne des dokumentarischen Erzählens?
Die Stärke unseres Projekts liegt darin, dass wir über die Ansprache der Figuren die Thematik der Umsiedlung intensiver erzählen können als in einer reinen Dokumentation. Der Film hat aber teilweise auch dokumentarische Elemente, da ja Ereignisse des jeweiligen Zeitgeschehens, wie der Abriss des Immerather Doms, in die Spielhandlung eingeflossen sind. Fast wie ein Dokudrama, bei dem man in 2018 nicht absehen konnte, was in den folgenden Jahren tatsächlich passiert.
Unser Sendungstitel ist ein Zitat von Hauptfigur Marita, die sagt: „An den Immerather Dom trauen die sich nicht ran. Eher fliegen hier UFOs durch die Gegend.“ Das versinnbildlicht ganz schön, wie wir Menschen ticken. Nicht vorstellen können und hoffen, dass es am Ende gut ausgeht. Was es für die Menschen bedeutet, ihre Heimat an einer Stelle aufgeben zu müssen, um sich hier ein Stückchen weiter neu anzusiedeln und was für eine Erinnerungskultur sie dabei pflegen, das wird über die Verbindung zwischen den Hauptfiguren und dem Publikum hoffentlich intensiver, erlebbarer und vielleicht berührender als dies bei einer Dokumentation der Fall wäre.
Stand: 18.10.2023, 11.15 Uhr