Interview mit der Ehrenpreisträgerin Bella Halben

Interview mit der Ehrenpreisträgerin Bella Halben

„Wenn ich noch einmal zur Welt komme, will ich wieder Kamerafrau werden.“

Bella Halben

Bella Halben
© Frizzi Kurkhaus

Bella Halben, geboren 1957 in Hamburg, hat ihr Handwerk von der Pike auf gelernt: Seit 1977 ist die Bildgestaltung ihre große Leidenschaft. Nach der Ausbildung zur Werbefotografin tauschte sie den Fotoapparat gegen die Fernsehkamera, assistierte für die aktuelle Berichterstattung und für Dokumentationen. Im Laufe der Jahre kamen zahlreiche Spielfilme, Werbe- und Dokumentarfilme hinzu. Seit 1988 arbeitet sie als selbstständige Kamerafrau.
Ihre gestalterische Kraft und Schöpfungsenergie zeigt sich in der langen Liste ihrer Auszeichnungen, so erhielt sie zum Beispiel 2002 für „Hierankl“ (koproduziert vom BR, SWR und von Arte) den Adolf-Grimme Preis in Gold für die „Beste Kamera“, 2006 den Deutschen Fernsehpreis für „Bella Block – Das Glück der Anderen“ (koproduziert vom ZDF). Zudem wurde sie mehrfach nominiert für den DEUTSCHEN KAMERAPREIS („Hierankl“ (2002), „Im Winter ein Jahr“ (2009, koproduziert vom BR und ARD Degeto)) und den Deutschen Filmpreis („Winterreise“ (2007, koproduziert vom BR), „Das Herz ist ein dunkler Wald“ (2008, koproduziert vom NDR)).
Bella Halben prägte auch den Stil weiterer herausragender Kinofilme wie „Baader“ (2002), „Aus der Tiefe des Raumes“ (2004, koproduziert vom ZDF), „Die Tür“ (2009), „Das Blaue vom Himmel“ (2011, in Zusammenarbeit mit ARD Degeto, BR, WDR und Arte), „Exit Marrakech“ (2013, koproduziert vom BR, WDR und ARD Degeto), „Das Tagebuch der Anne Frank“ (2016), „Vorwärts immer!“ (2017, koproduziert von ARD Degeto), „Zwischen uns die Mauer“ (2018, koproduziert vom ZDF) und „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ (2019). Dabei arbeitete sie mit Regisseur:innen wie Caroline Link, Hans Steinbichler, Anno Saul, Christopher Roth, Franziska Buch, Francis Meletzky, Nicolette Krebitz und Detlev Buck zusammen.
Auch preisgekrönte Krimireihen wie „Bella Block“ (ZDF) und „Tatort“ (WDR, NDR, MDR, Radio Bremen, ARD Degeto) profitierten von Bella Halbens Gespür für perfekte Bilder, ebenso wie der Fernsehzweiteiler „Aenne Burda – Die Wirtschaftswunderfrau“ (2018, in Zusammenarbeit mit dem SWR), der Fernsehfilm „Das Wunder von Kapstadt“ (2022, koproduziert vom WDR) und Caroline Links Miniserie „Safe“ (2022, ZDFneo).
Bella Halben ist eine der immer noch viel zu wenigen Kamerafrauen in der deutschen Film- und Fernsehlandschaft. Ihre Kreativität, Schaffenskraft und ihr Bildgefühl sieht das Kuratorium des DEUTSCHEN KAMERAPREISES als „inspirierendes Vorbild für junge Kamerafrauen auf ihrem Weg in die Welt der Bildgestaltung.“ Das ist nur einer von vielen guten Gründen, um Bella Halben mit dem Ehrenpreis des DEUTSCHEN KAMERAPREISES auszuzeichnen.



Frau Halben, wie sind Sie zur Fotografie gekommen?

BELLA HALBEN: Meine Mutter war vor ihrer Heirat Modefotografin. Bei uns wurde zu Hause immer fotografiert und gefilmt. Als ich elf Jahre alt war, habe ich bei einem Preisausschreiben eine Kamera gewonnen. Von da an habe ich mit dieser Agfa Klick fotografiert. Das hat mir immer Spaß gemacht.

Und dann haben Sie eine Ausbildung begonnen?

BELLA HALBEN: Ja, ich habe eine Fotografenlehre gemacht und in diesem Fotostudio einen Kameramann kennengelernt. Mit dem habe ich an meinem ersten Film gearbeitet.

Worin liegt für Sie der Unterschied zwischen Fotografie und Film?

BELLA HALBEN: Natürlich in der Bewegung. Am Film, besonders am Spielfilm interessiert mich die Geschichte, die erzählt wird. Mir ist wichtig, ein gutes Buch zu haben und mit dem Regisseur beim Drehen auf eine Mission zu gehen, dabei eine Vision zu entwickeln und dann die Emotionen der Schauspieler einzufangen. Die zeigen einem so viel von sich, wenn man gute Schauspieler hat. Und ich habe immer das Glück, mit wunderbaren Leuten zu drehen, die einem viel schenken.

Welche Stärken haben Sie bei der Filmarbeit?

BELLA HALBEN: Meine Stärke ist, dass ich mit der Kamera sehr beweglich bin. Ich arbeite gern mit der Handkamera, ich reagiere auf das, was die Schauspieler mir zeigen. Ich glaube, das einzufangen, ist meine Stärke.

Was sind für Sie Glücksmomente hinter der Kamera?

BELLA HALBEN: An meiner Arbeit fasziniert mich, dass ich Menschen nahekommen darf, dass sie in ihrer Rolle das Innerste nach außen kehren, dass ich dabei sein darf, wenn sie Gefühle wie Trauer oder Freude zeigen. Das finde ich das Spannendste an meinem Beruf. Ich habe sehr oft Glücksmomente, weil ich oft mit tollen Schauspielern drehe.

Bereiten Sie sich mit den Schauspielern auf die Szenen vor?

BELLA HALBEN: Es kommt immer darauf an, mit welchem Regisseur ich arbeite. Es gibt eine Regisseurin, Francis Meletzky, mit der ich sehr viele Filme gedreht habe. Sie macht immer eine Leseprobe, danach kommen die Schauspieler und wir drehen gleich. Ich mag dieses Überraschungsmoment, weil ich noch nicht genau weiß, was passieren wird. Ich bin ein sehr neugieriger Mensch. Ich finde es spannend, wenn man mir etwas präsentiert und ich das entdecken darf. Dagegen ist Caroline Link eine Regisseurin, die jede Szene sehr präzise vorbereitet. Bei ihr weiß ich immer, wo es lang geht.

Aber Sie nehmen nicht Kontakt zu den Schauspielern auf und geben ihnen konkrete Hinweise, wie sie spielen sollen?

BELLA HALBEN: Nein, ich würde niemals einem Schauspieler einen Hinweis geben, wie er spielen soll oder wohin er sich stellen soll. Das macht der Regisseur. Da gibt es auch ein großes Vertrauen zwischen der Regie und der Kamera. Das ist eine Partnerschaft. Auch die Schauspieler müssen mir vertrauen, dass ich sie nicht komisch abbilde. Ich finde, ein Schauspieler muss spielen können. Der muss am Set immer machen können, was er will. Ich versuche, ihm das zu ermöglichen, denn dann bekomme ich am meisten.

Sie sehen sich also nicht als „verlängerter Arm“ der Regie?

BELLA HALBEN: Es ist ja so, dass ein Regisseur sich aussucht, wer die Kamera machen soll. Das ist wohl auch der Grund, warum ich nur mit einer Handvoll Regisseure drehe. Ich habe mit Francis Meletzky 15 Filme gedreht, mit Hans Steinbichler 13 Filme, mit Caroline Link vier Filme und eine Serie. Man kennt sich und entdeckt sich trotzdem immer wieder neu. Die Kameraleute werden genommen, weil sie eine bestimmte Handschrift haben. Man müsste aber die Regisseure fragen: Warum wollt Ihr eigentlich immer mit der Bella Halben drehen? (lacht) Das ist wie eine Beziehung. Man arbeitet intensiv zusammen. Ich muss übersetzen, was der Regisseur im Kopf hat. Das muss stimmen. Das findet man schnell raus. Zu den Regisseuren und Regisseurinnen, mit denen ich oft arbeite, habe ich eine enge Beziehung, fast wie unter Geschwistern oder wie in einer Ehe.

Unter welchen Umständen sagen Sie für ein Projekt zu? Und wie bereiten Sie sich vor?

BELLA HALBEN: Wichtig ist mir ein gutes Buch. Wenn mich die Geschichte interessiert, sage ich zu. Und der Regisseur muss natürlich stimmen. Dann gehe ich mit dem Regisseur auf die Suche: Was ist die Mission in dem Film? Was wollen wir erzählen? Ich bin auch sehr involviert ins Casting und in die Änderungen am Drehbuch. Ich mache gern beim Casting mit, dann weiß ich schon, wie die Schauspieler ticken. Und die Schauspieler wissen, wie ich ticke, weil ich mit der beweglichen Kamera immer sehr nah rangehe. Dann bereiten wir uns vor, indem wir gemeinsam die Auflösung machen, Motive suchen und immer wieder hinterfragen, ob wir den richtigen Ansatz haben.

Entwerfen Sie im Vorfeld Farbkonzepte?

BELLA HALBEN: Ja. Auf jeden Fall überlege ich mir Farbkonzepte mit der Regie, mit dem Szenenbild, mit dem Kostümbild. Das ist immer eine enge Zusammenarbeit. Das bringt auch sehr viel Spaß, vorher genau zu überlegen, welche Farben zusammenkommen sollen. Man überlegt sich ganz genau, welches Gefühl erzeugt werden soll. Das wird manchmal hinterher noch geändert, weil die Leute dann erschrocken sind, dass alles zu bunt oder zu krass wird. Wir machen auf jeden Fall Mood-Boards und ein Farbkonzept.

Drehen Sie lieber drinnen oder draußen?

BELLA HALBEN: Jeder Film ist eine neue Herausforderung. Wenn ich in den Bergen oder in Afrika drehe, wie bei „Hierankl“ oder „Exit Marrakech“, dann ist die Natur unerschöpflich. Die Landschaft ist für mich wie ein Schauspieler. Sie erzählt auch etwas: Sonne, Regen, Sturm, Landschaft, Weite, Enge. Das kann ich alles nutzen. Ein Film wie „Das Tagebuch der Anne Frank“ ist etwas völlig anderes. Der spielt in vier oder fünf Räumen, und ich muss immer andere Standpunkte und Perspektiven finden, damit es nicht langweilig wird. Auch die Serie „Safe“, die ich zuletzt mit Caroline Link gedreht habe, spielt nur in drei Räumen. Das war eine große Herausforderung, nicht drei oder vier Monate lang immer in die gleiche Richtung zu schauen. Aber ich finde beides spannend, drinnen und draußen. Ich kann nicht sagen, dass ich eines von beiden bevorzuge.

Sie sagten, Sie arbeiten sehr intuitiv. Wie äußert sich das?

BELLA HALBEN: Ich habe die Kamera in der Hand oder auf der Schulter, um reagieren zu können. Ich gehe auf die Schauspieler zu oder entferne mich von ihnen. Das kann ich nur, wenn ich beweglich bin und nicht auf dem Dolly sitze oder die Kamera auf dem Stativ ist. Das wäre mir zu behäbig, denn ich ändere gern meinen Standpunkt. Ich kläre vorher mit den Schauspielern, ob das für sie in Ordnung ist, wenn ich mit diesem großen Apparat auf sie zukomme. Die meisten finden das okay.

Arbeiten Sie gern mit künstlichem Licht?

BELLA HALBEN: Ich arbeite sehr gern mit Licht, aber am liebsten von außen, so dass man im eigentlichen Motiv keine Stative hat. Die würden die Schauspieler und auch meine Mobilität einschränken. Ich mag es, Licht zu setzen, aber es sollte einfach sein. Einfach finde ich am besten.

Jeder Film hat einen eigenen Rhythmus, eine eigene Dramaturgie. Rechnen Sie das schon mit ein, während Sie drehen?

BELLA HALBEN: Das hat auf jeden Fall etwas mit der Vorbereitung zu tun. Ein Regisseur hat eine bestimmte Vorstellung vom Schnitt. Da sprechen wir uns vorher gut ab. Ich mag es, wenn wir beim Drehen auch schon eine Musik für den Film haben. Für mich ist Kameraarbeit wie ein Tanz. Ich finde es schön, wenn die Kamera sich fließend bewegt.

Sehen Sie einen Unterschied zwischen Kino- und Fernsehfilmen?

BELLA HALBEN: Ja, da sehe ich einen großen Unterschied. Allein im Format. Das Kinoformat auszufüllen, die passenden Motive zu suchen, das ist schon ein großer Unterschied zum Fernsehen. Obwohl es inzwischen große Beamer gibt und das Fernsehen zu Hause zum Heimkino wird. Das kommt dem Kino schon näher. Aber einen Film für die Leinwand zu fotografieren ist schon eine andere, eine größere Herausforderung als für den Fernsehbildschirm.

Manche Kameraleute haben ein bisschen Probleme mit der Digitalisierung der Kamera, des Films. Ist das für Sie ein Problem oder sehen Sie darin einen Fortschritt?

BELLA HALBEN: Die Digitalisierung beim Film ist für mich kein Problem. Das ist halt passiert und man muss mitgehen. Ich komme vom Film und habe gern auf Filmmaterial gedreht, aber heute ist das selten möglich. Man kann sich damit arrangieren und ich finde das auch nicht schlecht. Man muss halt nur herausfinden, wie man es gut macht.

Als sie das Drehbuch zu „Hierankl“ bekamen, wollten Sie den Film unbedingt drehen. Was hat den Ausschlag gegeben?

BELLA HALBEN: Ich habe die ersten drei Sätze gelesen und wusste: Diesen Film will ich machen. Bis dahin hatte ich 26 Jahre nur Werbung gedreht, und meine Agentur hatte mir geraten, erstmal eine bestimmte Art von Filmen für verschiedene Sender zu machen, um überhaupt in das Spielfilm-Genre zu kommen. Doch dann wurde mir dieser Kinofilm angeboten. Nachdem ich die ersten drei Sätzen gelesen hatte, habe ich die Produzenten angerufen und gesagt, dass ich Hans Steinbichler kennenlernen möchte. Das war ganz genau der Film, den ich machen wollte. Ich fand die Geschichte toll, den Regisseur auch, und ich wollte mit diesen großartigen Schauspielern eine Familiengeschichte in den Bergen drehen.

Daraus sind etliche weitere Filme entstanden…

BELLA HALBEN: Ja, mit Hans Steinbichler habe ich 13 Filme gedreht. Das war eine wunderbare Zeit. Wir sind auch nach Afrika gefahren, denn die Natur ist eines seiner großen Themen. Und wir haben viele Filme mit Sepp Bierbichler gemacht. Es ist ein Geschenk, mit solchen Leuten zusammenarbeiten zu dürfen.

Sie haben auch oft mit Caroline Link gedreht.

BELLA HALBEN: Caroline Link macht halt nicht so viele Filme, im Schnitt nur alle fünf Jahre. Durch Hans Steinbichler habe ich Caroline Link kennengelernt, dann haben wir alle fünf Jahre einen Film gemacht und jetzt auch die erste Fernsehserie „Safe“. Sie ist eine ganz besondere Regisseurin und eine gute Freundin. Wie sie mit Sprache umgeht und mit den Leuten arbeitet, ist einfach bemerkenswert.

Sie haben mit Caroline Link „Exit Marrakech“ gedreht. Was war besonders an diesem Film?

BELLA HALBEN: Das war eine Reise durch Marokko. Das ist ein besonderes Land. Alles, was wir dort sehen und erleben, macht etwas mit uns. Wir sind an jedem Wochenende durch das Land gefahren und haben Landschaften gedreht oder Menschen und Situationen, die in den Film eingeflossen sind. Wohin auch immer man schaut, man findet in diesem Land tolle Bilder. Ich habe eine kleine Digitalkamera genutzt und bin nachts wie ein Tourist über einen Markt gelaufen, auf dem man eigentlich nicht drehen darf. Dabei sind großartige Bilder entstanden. Marokko ist halt ein Märchenland. Und darin die Geschichte der Hauptfiguren und ihrer Familien zu erzählen, hat mir besonders gut gefallen.

Mit Brian Perkins haben Sie einen Film über Mönche in Burma gedreht. Wie kam es dazu?

BELLA HALBEN: Den amerikanischen Regisseur habe ich über seinen Editor kennengelernt. Ich hörte, dass er für den Film „Golden Kingdom“ jemanden suchte, der Lust hat, ohne Geld sieben Wochen nach Burma zu fahren. Ich liebe solche Herausforderungen. Also habe ich mit Brian Perkins in Orlando telefoniert. Dann haben wir beschlossen, dass wir zu fünft nach Burma fliegen. Dort haben wir Generatoren und Kabel gekauft und sind zu einem Kloster auf einen Berg gestiegen. Die Kindermönche waren alle Laien, aber wir haben mit ihnen einen Spielfilm gedreht. Das hat sieben Wochen gedauert, in dieser Zeit haben wir im Kloster auf dem Fußboden geschlafen. Solche Erlebnisse sind einmalig: Wann kommt man sonst an einen solchen Ort? Diese Kinder waren so großartig und hinterher lief der Film auf der Berlinale. Dann kamen diese kleinen Mönche nach Berlin. Die hatten vorher noch nie ihren Berg verlassen und kamen plötzlich nach Deutschland. Das war eine irre Erfahrung für alle Beteiligten.

Welche Entwicklung sehen Sie in Ihrer Kameraarbeit?

BELLA HALBEN: Wenn man so eine Arbeit macht, entwickelt man sich permanent. Sonst wäre etwas falsch. Ich mache seit 28 Jahren Langfilme. Davor habe ich 16 Jahre Werbung gemacht. Ich glaube, ich entwickele mich ständig, das hoffe ich jedenfalls. Und dadurch, dass ich mich entwickele, verändert sich auch die Herangehensweise an Filme. Das hat erstmal damit zu tun, dass man Erfahrungen sammelt. Dann hat es damit zu tun, mit welchen Regisseuren ich arbeite. Meine persönliche Entwicklung fließt auch in die Filme ein. Ich war früher ein wilder Typ, und ich glaube, das bin ich immer noch. Aber es wird schon besser. (lacht) Filmemachen ist wie Sport. Eigentlich wollte ich früher mal Sport studieren, aber das ging nicht, weil ich zu viele Verletzungen hatte. Für mich ist Filmedrehen wie eine Weltmeisterschaft. Das Team ist wie eine Nationalmannschaft. Jeder muss funktionieren. Jeder muss diszipliniert sein, man muss so viel Energie in dieses eine Projekt stecken. Jedes Mal möchte ich den tollsten Film aller Zeiten drehen. Das macht mir sehr viel Spaß. Ich kenne keinen anderen Beruf, der das bietet. Wenn ich noch einmal zur Welt komme, will ich wieder Kamerafrau werden. Man kann so viel sehen, so viel erleben und so viel lernen. Ich komme nach Marokko, nach Burma, nach Thailand und sonst wohin. Es ist großartig, die Welt auf diese Weise zu erforschen und die Länder und die Menschen kennenzulernen.

Interessieren Sie sich für Technik?

BELLA HALBEN: Nein, für Technik interessiere ich mich fast gar nicht. Ich kaufe immer gern kleine Geräte, um die Arbeit vielleicht zu erleichtern. Aber ich brauche keine großen Sachen. Ich brauche nur eine Kamera, und es kann losgehen. Mir ist egal, ob die Kamera klein oder groß ist. Ich brauche nur etwas, mit dem ich die Bilder festhalten kann. Mit welcher Technik ich das mache, ist mir eigentlich wurscht.

Was bedeutet es Ihnen, eine Kamera in der Hand zu halten?

BELLA HALBEN: Eine Kamera ist für mich wie ein Mittel zum Zweck. Ich möchte etwas einfangen und den Menschen vermitteln. Die Realität, die da ist, möchte ich fotografieren und dabei rüberbringen, was ich in diesem Moment empfinde. Ich habe ein Gefühl, das zieht mich zu den Schauspielern hin, und ich möchte dem Publikum zeigen, was der Schauspieler mir zeigt. Aber darüber denke ich gar nicht nach, wenn ich das mache. Das ist ganz intuitiv.

Viele erfolgreiche Kinofilme sind inzwischen Animationsfilme. Wird die Arbeit der Kameraleute dadurch allmählich in den Hintergrund gedrängt?

BELLA HALBEN: Nein. Das sehe ich nicht so. Ich drehe dauernd Filme, die mit Animation überhaupt nichts zu tun haben. Es gibt so viele Geschichten zu erzählen und so viele tolle Schauspieler und Regisseure. Ich finde es schön, dass es Animationsfilme gibt, ich mache demnächst einen Film, in dem sehr viel VFX vorkommt, aber trotzdem ist es ja Film. Ich drehe mit Francis Meletzky den „Schimmelreiter“, das ist ein uraltes Buch, aber der Inhalt ist sehr aktuell wegen der Klimakatastrophe. Da ist viel VFX drin, und die Zusammenarbeit mit diesen Fachleuten ist grandios, weil wir gemeinsam spektakuläre Bilder entwickeln. Und trotzdem gibt es ja eine Handlung, die wir mit den Schauspielern verfilmen.

Der Beruf des Kameramannes oder der Kamerafrau stirbt also nicht aus?

BELLA HALBEN: Nein, solange ich lebe, stirbt der auf keinen Fall aus. (lacht)



Begründung des Kuratoriums:
Bella Halben hat ihr Handwerk von der Pike auf gelernt: Seit 1977 ist die Bildgestaltung ihre große Leidenschaft. Nach ihrer Ausbildung zur Werbefotografin tauscht sie den Fotoapparat gegen die Fernsehkamera, assistiert für die aktuelle Berichterstattung und Dokumentationen. Im Laufe der Jahre kommen zahlreiche Spielfilme, Werbe- und Dokumentarfilme dazu. Seit 1988 arbeitet sie als selbstständige Kamerafrau.
Aus diesem Gefühl heraus für Fotografie und Geschichten schenkt sie ihren Filmen – und damit auch dem Publikum – einfühlsame und starke Bilder, die weit über das reine Visualisieren des Inhalts hinausgehen und die förmlich hinter die Geschichte blicken. Dabei stellt sie ihre Kamera und ihr Licht in den Hintergrund, die Geschichte und die Schauspieler:innen des Films aber in den Vordergrund und lässt sie dort glänzen. Sie liebt den Einsatz der Handkamera, um eng bei den Reaktionen der Darsteller:innen sein zu können, Bella Halben will keine schauspielerische Leistung verpassen.
Ihre gestalterische Kraft und Schöpfungsenergie zeigt sich in der langen Liste von Auszeichnungen, u.a. erhielt sie 2002 für „Hierankl“ den Adolf-Grimme Preis in Gold für „Beste Kamera“, 2006 den Deutschen Fernsehpreis für „Bella Block – Das Glück der Anderen“ und mehrere Nominierungen für den DEUTSCHEN KAMERAPREIS (2002 „Hierankl“, 2009 „Im Winter ein Jahr“) und den Deutschen Filmpreis (2007 „Winterreise“ und 2008 „Das Herz ist ein dunkler Wald“).
Bella Halben ist eine der wenigen Kamerafrauen in der deutschen Film- und Fernsehlandschaft. Ihre Kreativität, Schaffenskraft und ihr Bildgefühl sieht das Kuratorium des DEUTSCHEN KAMERAPREISES als inspirierendes Vorbild für junge Kamerafrauen auf ihrem Weg in die Welt der Bildgestaltung und überreicht ihr dieses Jahr den Ehrenpreis 2023.

Stand: 16.05.2023, 14.00 Uhr