Vorwort Henrike Vieregge (Redakteurin) und Sabine de Mardt (Produzentin)

Vorwort Henrike Vieregge (Redakteurin) und Sabine de Mardt (Produzentin)

Sabine de Mardt/Henrike Vieregge

Sabine de Mardt und Henrike Vieregge
© WDR/Michael Gottschalk/picture alliance/Geisler-Fotopress/Christoph Hardt

Henrike Vieregge, WDR-Redakteurin

„Der Roman ‚Nichts, was uns passiert‘ ist 2018 erschienen, als die ‚MeToo‘-Debatte auch in Deutschland mit großer Brisanz geführt wurde. Fünf Jahre danach hat die Geschichte nichts an Aktualität verloren.

Der ARD-Fernsehfilm ‚Nichts, was uns passiert‘ ist ein einfühlsames Porträt der Hauptfigur Anna, die nach einer Vergewaltigung verzweifelt und gleichzeitig mit großer Stärke dafür kämpft, Gerechtigkeit zu finden. Uns war sehr wichtig, mit ihrer Geschichte zu zeigen, dass Überlebende von sexualisierter Gewalt nicht nur mit den Auswirkungen der Gewalterfahrung zu kämpfen haben. Anna muss sich auch mit der Überforderung und Verunsicherung ihres direkten Umfelds auseinandersetzen. Aber auch Jonas‘ Perspektive, der seine eigene Täterschaft nicht in sein Selbstbild integrieren kann, ist für die Erzählung von zentraler Bedeutung. Der Film versucht mit großer Sensibilität zu ergründen, was unser Bild von Opfern und Tätern beeinflusst und wirft dabei auch die Frage auf, was wir als Gewalt wahrnehmen, und was nicht.

Diese Multiperspektivität der Geschichte, die von unserem fantastischen Ensemble getragen wird, entfaltet eine große Kraft. Wie die Podcasterin Kelly können wir uns als Zuschauende nur auf die Berichte und Wahrnehmungen der Betroffenen beziehen, um zu einer eigenen Haltung zu finden. Ich hoffe, dass der Film einen Beitrag dazu leisten kann, die kollektiven und individuellen Abwehrmechanismen in unserer Kultur zu entlarven, die einer Veränderung der gesellschaftlichen Diskurse rund um das Thema sexualisierte Gewalt noch immer im Weg stehen.“

Sabine de Mardt, Produzentin Gaumont GmbH

„Als der Roman von Bettina Wilpert erschien, war mir sofort klar, dass das ein wichtiger Roman im Diskurs zu sexualisierter Gewalt ist. Die präzise Analyse der gesellschaftlichen Bedingungen und Haltungen, der irgendwie sachliche und zugleich doch zwingende Ton, nah an den beteiligten Figuren entlang erzählt, nie voyeuristisch, gleichzeitig eindringlich. Ich musste sofort an Julia C. Kaiser als queerfeministische Autorin und Regisseurin denken, deren Arbeit ich sehr aufmerksam verfolgt hatte, weil sie sich durch große Sensibilität, einnehmende Leichtigkeit und präzise Beobachtung von Beziehungen und vor allem auch dem Unausgesprochenen, Unreflektierten, Ungemütlichen von Beziehungen auszeichnet. Und – was für diesen Film von besonderer Bedeutung ist – einem stets empathischen Blick auf alle Figuren. Der WDR hat sofort die Qualität des Stoffes in seiner Nuancierung gesehen und zugesagt.

Auch für uns als Firma war das eine besondere und lehrreiche Produktion, denn wir wurden im Zuge der Entwicklung und dann vor allem in der Umsetzung mit unseren eigenen blinden Flecken konfrontiert, die in den gelernten und etablierten Produktionsabläufen und -bedingungen zunehmend sichtbar wurden. Wir sind durch die Auseinandersetzung, die dieser Film auch in der Produktion angeregt hat, deutlich für unsere eigene Verantwortung sensibilisiert, die Strukturen, die zu sexualisierter Gewalt beitragen, zu reflektieren und zu verändern.“

Stand: 17.01.2023, 16.00 Uhr