Lamin Leroy Gibba spielt Hannes

Lamin Leroy Gibba spielt Hannes

© WDR/Gaumont/Lotta Kilian

Wie haben Sie sich auf die Dreharbeiten vorbereitet und wie haben Sie sich dem Thema genähert?
„Es war in der Vorbereitung sehr hilfreich, neben dem Drehbuch auch die Romanvorlage von Bettina Wilpert lesen zu können. Ich habe für Hannes eine Figurenbiografie aufgeschrieben, in der ich seine Familie, seine wichtigsten Beziehungen, Ängste, Wünsche, Geheimnisse usw. zusammengefasst habe. Ich musste verstehen, wen ich da genau spiele. Mir war wichtig, Hannes und das, was er sagt und tut, an keinem Punkt des Films zu verurteilen, sondern voll und ganz in seiner Subjektivität zu stehen. Kurz vor dem Dreh hatten Emma, Julia und ich auch eine gemeinsame Probe, die sehr geholfen hat, herauszufinden, wie sich die Freundschaft zwischen Anna und Hannes anfühlen wird.“

Hannes nimmt vielleicht am ehesten die Perspektive vieler Zuschauer:innen ein. Er kann sich seine Freundin Anna ebenso wenig als Lügnerin vorstellen, wie seinen Kumpel Jonas als Vergewaltiger. Können Sie diesen Zwiespalt nachvollziehen?
„Hannes will nicht nur ein guter Freund sein, sondern denkt auch viel darüber nach, was es heißt, ein guter Mensch zu sein. Er kann Begriffe wie Vergewaltigungskultur und Patriarchat theoretisch verhandeln, wenn es aber ihn und seine engsten Freundschaften betrifft, ist er überfordert. Er entscheidet sich für die vermeintliche Neutralität, indem er sich weder ganz auf Annas noch ganz auf Jonas‘ Seite stellt. Denn Anna ganz zu glauben, beinhaltet für Hannes die eigene Mitverantwortung, Schuldgefühle und das Wissen, einen Kumpel zu haben, der jemanden vergewaltigt hat. Es beinhaltet das Eingeständnis, die Gefahr, die von Jonas während der Party ausgegangen ist, nicht richtig eingeschätzt zu haben. Dafür ist Hannes nicht bereit.“

Wie geht das Umfeld mit einer Vergewaltigung um? Wie kann man als Freund:in richtig reagieren?
„Es beginnt natürlich damit, dass man der Freund:in, die einem anvertraut, dass sie vergewaltigt wurde, uneingeschränkt glaubt. Dass man ihr zuhört, während sie so viel oder so wenig von der Tat erzählt, wie sie will. Und ihr anbietet, sie im Prozess vom Melden, Anzeigen, Therapieplatz finden und so weiter zu unterstützen. Ich glaube aber letztendlich geht es darum, darauf zu hören, welche Unterstützung die individuelle Person gerade möchte.

Was verbinden Sie mit dem titelgebenden Satz: „Vergewaltigung ist nichts, was uns passiert“?
„Ich finde den Titel spannend, weil er von verschiedenen Figuren gesagt werden könnte. Im Film sagt Anna, dass sie Vergewaltigung immer als etwas gesehen hat, was einem selbst nicht passiert. Aber es könnte auch von Hannes oder Jonas‘ Mutter gesagt werden, die beide nicht wahr haben wollen, dass Vergewaltigung auch mit ihnen zu tun hat, und sie sich konkret damit auseinandersetzen müssen. Ich finde der Film gibt Zuschauenden die Möglichkeit herauszufinden, wo sie selbst innerhalb der Geschichte stehen und wem sie wann und wieso glauben. Es ist bekannt, dass falsche Anschuldigungen bei Vergewaltigungen extrem selten sind. Trotzdem wird Überlebenden häufig nicht geglaubt, was Einfluss auf die große Dunkelziffer von nicht gemeldeten Vergewaltigungen hat. Ich denke erst, wenn uns bewusst wird, dass sexualisierte Gewalt, besonders gegenüber Frauen, in unserer Gesellschaft verankert ist, kann sich auch strukturell etwas verändern. Dann braucht es, wie letztlich bei Hannes, den Willen dieses Wissen im persönlichen Umfeld anzuwenden und betroffene Personen zu schützen.“

Stand: 17.01.2023, 16.00 Uhr