Emma Drogunova spielt Anna

Emma Drogunova spielt Anna

Jonas fragt Anna, ob sie noch etwas vor hat Anna (Emma Drogunova)

Anna (Emma Drogunova)
© WDR/Thomas Kost

Mussten Sie lange überlegen, ob Sie die Rolle annehmen? Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?
„Als mir die Castingeinladung zugeschickt wurde, habe ich mir auch direkt den Roman gekauft und ihn parallel zum Drehbuch gelesen. Anfangs hatte ich natürlich ziemlich Respekt vor der Rolle und den psychischen Herausforderungen, die sie mit sich bringen würde. Ich war mir aber sofort sicher, dass ich diesen Film drehen wollen würde. Mir gefiel wie untypisch Anna geschrieben war, so anders als die meisten von Vergewaltigung betroffenen Figuren sonst oft erzählt werden. Es war alles so nah an dem Alltag meiner betroffenen Freund:innen. Deswegen musste ich emotionale Recherche in diesem Sinne auch leider nicht betreiben.“

Der Film lässt die Zuschauer:innen mit vielen Fragen zurück. Was hat Sie nach Lesen des Drehbuchs am meisten beschäftigt?
„Ich weiß noch wie ich ein sehr starkes Gefühl von Hilflosigkeit, von ‚das kann’s doch nicht sein, das war’s jetzt?‘ empfunden hab. Wie kann es sein, dass Betroffenen immer noch so viele Steine in den Weg gelegt werden, wenn sie sogar schon so mutig waren und sich Hilfe geholt haben? Andererseits mochte ich, wie Anna, unabhängig der Umstände, irgendwie eine Art Frieden für sich gefunden hat.“

Was macht die Figur Anna für Sie aus?
„Anna ist eine sehr komplexe Figur. Nicht immer sympathisch und eine Person, mit der man sich ganz gut identifizieren kann. Leicht reizbar, ehrlich, authentisch, sehr loyal und feministisch. Ich mag, wie sie Konflikten nicht aus dem Weg geht, sondern sie direkt anspricht. Sie ist nicht auf den Mund gefallen und kämpft stur für das Richtige, auch wenn es sie manchmal einsam macht.“

Anna hadert lange mit sich, ob sie Jonas anzeigen soll oder nicht. Können Sie diesen Zwiespalt nachvollziehen?
„Ja, das kann ich tatsächlich gut verstehen. Es geht Anna ja nie darum ihn zu bestrafen, sich zu rächen oder Ähnliches. Sie möchte eine aufrichtige Entschuldigung von ihm. Dass er aus tiefster Seele versteht, was er getan hat und wie stark sein Fehlverhalten jetzt ihren Alltag beeinflusst. Aber dadurch, dass er es zunächst überhaupt nicht einsieht und so tut, als wäre nichts geschehen, macht es sie wütend. Sie sieht keine andere Lösung, als sich mit Hilfe einer Anzeige zu wehren. Denn sich nicht zu wehren würde bedeuten, sich klein zu machen und das passt gar nicht zu Anna.“

Was ist das Bedürfnis von Anna? Welche Erwartungen hat sie an sich selbst, an ihr Umfeld, an die Gesellschaft und an Jonas?
„Anna möchte vor allem, dass Jonas sich im Klaren darüber wird, dass das, was er getan hat, nicht richtig war, dass er eine Grenze überschritten hat und er für seinen Fehler Verantwortung übernehmen muss. Sie möchte, dass ihre Freunde und generell die Menschen um sie herum verstehen, dass das, was passiert ist, keine Lappalie ist, dass sie sich mit ihr solidarisieren oder sie zumindest nicht als aufmerksamkeitssuchende Lügnerin ansehen, sondern ihr zuhören und ihr Glauben schenken.“

Anna betrachtet den Sonnenaufgang Anna (Emma Drogunova).
© WDR/Gaumont/Thomas Kost

„Victim blaming“ ist ein weit verbreitetes Phänomen. Dem „Opfer“ hat wird oft eine Teilschuld attestiert. Worin sehen Sie die Ursachen hierfür?
„Ich glaube, da liegt die Hauptursache im Patriarchat, welches natürlich nur so vor Frauenfeindlichkeit strotzt und vor allem Frauen und weiblich gelesenen Personen immer noch unterstellt, sie wären nur weich und schwach. Parallel dazu seien Frauen und weiblich gelesene Personen aber auch ‚manipulativ‘ und ‚hysterisch‘, was sie dazu bringe, ‚das Leben von Männern zerstören zu wollen.‘ Es wird Betroffenen teilweise unterstellt, sie wollen doch nur ‚Fame‘ oder irgendeine Form von Aufmerksamkeit, was absoluter Quatsch ist. Noch nie hat es einer betroffenen Frau/Person zu einem beruflichen oder privaten Aufstieg verholfen, den Täter oder die Täterin öffentlich zu nennen. Wohingegen Täter:innen leider immer noch viel zu selten mit Einbußen für ihre Taten rechnen müssen.“

Was würden Sie als Freundin von Anna tun? Was als Freundin von Jonas?
„Als Annas Freundin würde ich ihr natürlich zunächst zuhören und ihr meine Unterstützung anbieten. Das ist das Wichtigste. Der Person das Gefühl geben, dass sie nicht allein ist. Als Freundin von Jonas würde ich ihn definitiv dazu ermutigen sich bei Anna zu entschuldigen bzw. mit ihr das Gespräch zu suchen, wenn von ihrer Seite gewollt. Selbstreflexion und Kommunikation sind hier, wie fast immer, die großen Türöffner.“

Wie würden Sie rückblickend die Arbeit für den Film beschreiben? Was haben Sie persönlich aus dieser Zeit mitgenommen?
„Die Arbeit zu dem Film hat mich als Mensch sehr bereichert. Ich habe viel gelernt, sowohl was das Thema Vergewaltigung und sexuelle Übergriffe generell betrifft als auch wie ich mich schauspielerisch solch harten Themen mental gesund nähere. Zum Glück habe ich da auch von der Produktion Unterstützung erhalten, indem mir eine Psychotherapeutin zur Seite gestellt wurde, an die ich mich bei Bedarf wenden konnte. Außerdem hat die Regisseurin und Drehbuchautorin Julia C. Kaiser mir unglaublich viel geholfen. Sie hat mir Vertrauen geschenkt, so dass ich mich gedanklich frei machen und Anna so kantig und unangepasst spielen konnte, wie sie schlussendlich geworden ist. Aber auch mit meinen Kolleg:innen und dem gesamten Team habe ich in den Glückstopf gegriffen. Vor allem die vielen interessanten, kreativen, wundervollen Frauen und nicht binären Personen haben mich emotional positiv genährt. Ich bin wirklich sehr dankbar für diese Zeit.“

Was verbinden Sie mit dem titelgebenden Satz „Vergewaltigung ist nichts, was uns passiert“?
„Es ist absurd, dass wohl fast jede:r mindestens eine Person in ihrem/seinen Freundes- und Bekanntenkreis hat, die Betroffene/r sexueller Gewalt wurde, aber komischerweise niemanden der/die diese Gewalt gegenüber jemandem ausgeübt hat. Unsere Gesellschaft bietet mir noch zu wenig Möglichkeiten, offen über Konsens zu reden. Damit beginnt Prävention nämlich.“

Stand: 17.01.2023, 16.00 Uhr