Fragen an Bildgestalterin Lotta Kilian

Fragen an Bildgestalterin Lotta Kilian

Lotta Killian

Lotta Kilian
© Jana Fitzner

In dem Film kommen Betroffene von sexualisierter Gewalt, Täter, Freund:innen, Familie zu Wort. Wie haben Sie das bildästhetisch umgesetzt?
„Uns war wichtig, dass die unterschiedlichen Perspektiven und Zeitebenen visuell verwoben und nicht getrennt sind. Unser Grundsatz war, dass es keine objektive Perspektive geben kann. Eher war die Frage inwiefern Situationen unterschiedlich wahrgenommen, erzählt und erinnert werden und es dabei nicht nur die eine Wahrheit gibt. Diese unterschiedlichen Realitäten existieren parallel. In der Interview-Ebene mit der Podcasterin Kelly sollte die Kamera interessiert sein, subtil kommentieren, aber die Figuren nie ausstellen. Es war wichtig, dass die Kamera den Figuren auf Augenhöhe begegnet und selbst keine extrem machtvollen Blicke einnimmt, die häufig mit einer stereotypen Opfer-/Täter-Zeichnung verknüpft sind. Die Licht- und Bildgestaltung kontrastiert mit der sommerlichen Atmosphäre die Dramatik und innerliche Schwere der Ereignisse. Die ästhetische Darstellung von sexueller Gewalt bringt eine große Verantwortung mit sich. Wir wollten stereotype Bilder nicht reproduzieren und es war klar, dass wir die Vergewaltigung selbst nicht zeigen. Die Glaubwürdigkeit unserer Hauptfigur Anna braucht nicht durch die visuelle Abbildung ihrer Gewalterfahrung bewiesen werden. Wir alle haben schon unendlich viele Darstellungen sexualisierter Gewalt gesehen. Genau diese Dinge nicht zu zeigen, hier vielleicht auch die Erwartungen der Zuschauer:innen nicht zu erfüllen und damit ein Nachdenken anzuregen war uns wichtig. Die Kamera bewegt sich mit Anna.“

Julia C. Kaiser (Regie), Lotta Kilian (Kamera) und Anna (Emma Drogunova)
© WDR/Gaumont/Thomas Kost

Es gibt im Film nicht die eine Wahrheit, die erzählt wird. Wie haben Sie diese unterschiedlichen Wahrnehmungen einer Geschichte eingefangen?
„Es gibt im Film etliche Schlüsselszenen, die aus unterschiedlichen Perspektiven wiederholt erzählt werden, stilistisch aber immer ähnlich gedreht sind. So können wir uns die unterschiedlichen Perspektiven hineinversetzen, bekommen aber nicht aufgedrückt, was wir glauben sollen. Zum Beispiel im Supermarkt, als sich Anna und Jonas nach der Vergewaltigung das erste Mal wieder begegnen. Zunächst erleben wir den Moment einmal mit Anna. Die Kamera ist bei ihr und Jonas taucht plötzlich auf, wir rennen dann mit Anna durch die Supermarktgänge nach draußen und die Kamera schaut nicht auf Jonas zurück. Später wiederholt sich die Szene und zeigt es von seiner Perspektive, wir bleiben mit ihm im Supermarkt zurück.“

Was verbinden Sie mit dem titelgebenden Satz „Vergewaltigung ist nichts, was uns passiert“?
„Wenn Anna sagt ‚Vergewaltigung ist nichts, was uns passiert‘ wird klar, dass wir alle bestimmte Vorstellungen und Bilder von Opfern und auch Tätern haben, denen wir bestimmte Verhaltensweisen, Charakterzüge und sogar Aussehen zuschreiben. Der Satz zeigt, wie passiv unsere Gesellschaft mit sexueller Gewalt umgeht. Wir wissen alle, dass es ständig und überall passiert, aber trotzdem hoffen wir dass es uns nicht selbst trifft. Die Debatte um #MeToo hat das Sprechen über sexuelle Gewalt angestoßen. Ich hoffe, dass sich auch in der visuellen Darstellung sensiblere Vorgehensweisen etablieren.“

Stand: 17.01.2023, 16.00 Uhr