„Es ist ein Gesamtkunstwerk“

„Es ist ein Gesamtkunstwerk“

Dirigent Frank Strobel über Norwegen, das Zusammenspiel von Film und Musik und das Lesen von Partituren

Frank Strobel

Moderatorin Tamina Kallert
© WDR/ Ben Knabe

Frank Strobel ist seit August 2021 Chefdirigent des WDR Funkhausorchesters, arbeitet aber schon seit 2011 als Gastdirigent mit den Kölner Musiker:innen zusammen. Er gilt als „Filmmusik-Papst“ und war entscheidend daran beteiligt, dass dieses Genre Einzug hielt in führende Opern- und Konzerthäuser. Frank Strobel ist Herausgeber von Originalpartituren zu berühmten Stummfilmen, darunter die rekonstruierte Fassung von Fritz Langs Klassiker „Metropolis“ von 1927. Den Dirigenten verbinden langjährige künstlerische Beziehungen zu vielen Orchestern in Deutschland und im europäischen Ausland. Welchen Bezug er zu Norwegen und zur „Wunderschön“-Folge „Norwegens Westen. Vom Sognefjord nach Bergen“ hat, erzählt er im Interview:

Was verbindet Sie mit Norwegen?

Ich kenne Norwegen relativ gut. Ich war häufig dort, habe Symphonieorchester in verschiedenen Städten dirigiert, unter anderem die Philharmonischen Orchester Oslo und Bergen. Und die Grieghalle, in der Ragnild Hemsing am Ende des wunderschönen Films auf der Hardangerfiddel spielt, habe ich auch schon besucht. Als ich die großartigen Filmbilder sah, war mir Norwegen sofort wieder ganz nah. Und diese Vertrautheit hat mir geholfen, starke Bilder und Musik zu einem Gesamtkunstwerk zu verbinden.

Dieses Gesamtkunstwerk wird am 19. Juni 2022 um 20.15 Uhr im WDR ausgestrahlt – und findet vorab am 15. Juni als Live-Event im großen Sendesaal des WDR statt: Auf einer Leinwand läuft der Norwegen-Film, und Sie dirigieren das WDR Funkhausorchester, das live zum Film spielt. Dabei sitzen die Musiker:innen mit dem Rücken zur Leinwand und können nicht sehen, welche Szene gerade läuft. Wie kann das funktionieren?

Wir alle sind Profis. Wobei ich derjenige bin, der dafür sorgen muss, dass alles ganz synchron gespielt wird. Das ist in der Tat tricky und bedarf sehr viel Erfahrung.

Welche Aufgabe haben Sie als Dirigent?

Meine Aufgabe als Dirigent ist es, das Orchester zu leiten und die Musik synchron zum Bild zu bringen. Mir war wichtig, dass das Orchester bei den Proben den Film auf Monitoren sehen konnten. Dadurch wurden sie inspiriert und verstanden besser, wie die Musik gemeint war. So musste ich auch nicht mehr so viel erklären. Ich verstehe mich als Partner des Orchesters und muss gleichzeitig Verantwortung übernehmen. Die Musiker:innen sind ein Kollektiv, jeder und jede bringt sich ein. Aber ich führe sie hinsichtlich des Tempos, der Dynamik, der Agogik der Musik und füge sie zu einer einheitlichen Interpretation eines Musiktaktes zusammen. Denn sonst hätten wir wohlmöglich 50 verschiedene Einzelmeinungen.

Gordon Hamilton hat die Musik exklusiv für den Norwegen-Film komponiert – und saß dann im Orchester am Klavier. Wie hat das für Sie gepasst?

Ich schätze Gordon sehr, hatte ein Stück von ihm sogar in meinem Antrittskonzert im letzten Jahr. Er hat die passende Sprache für die Bilder des Norwegen-Film gefunden und arbeitet dabei mit der Musik eines Nationalhelden wie Grieg – auf unaufdringliche Weise. Seine Musik ist gelungen, ich musste nichts aufhübschen. Und für mich als Dirigent finde ich es immer großartig, wenn ich den Komponisten dabeihabe. Gordon ist ein Partner, mit dem man reden konnte. Wir Musiker sind ja Nachschöpfende, die das spielen, was der Schöpfer uns geliefert hat.

Es heißt, Musiker:innen können Musik lesen wie andere Menschen in einem Buch. Stimmt das?

Ja, das stimmt. Wenn ich die Partitur vom Komponisten bekomme, lese ich sie wie ein Buch – und höre die Musik im gleichen Moment in meinem inneren Ohr. Das geht allen Musikern so. Man kann dies vergleichen mit dem Lesen eines Buchs. Wenn man die Sprache versteht, entstehen beim Lesen sofort Bilder im Kopf und die Figuren werden lebendig. So geht es uns mit einer Partitur. Wir lesen die Musik.

Welchen Stellenwert hat die Musik für den Film?

Filmmusik ist weit mehr als die Illustration des Filmbildes. Filmmusik erzählt die Geschichte mit. Sie untermalt nicht das, was man sowieso schon sieht, sondern macht Figuren, Räume und Szenerien plastisch und lässt sie lebendig werden. Das Erlebnis eines Films ist immer stark verbunden mit der Musik. Man kann im Nachhinein eher eine Szene oder einen Dialog wiedergeben als die Musik, die man im gleichen Moment gehört hat – obwohl einen die Musik viel mehr beeinflusst hat. Sie macht etwas mit einem. Ich kann mit der Musik sogar „manipulieren“ und den Blick der Zuschauer:innen auf etwas lenken, das sie sonst nicht sehen.

Sie sagen, die Musik, die Gordon Hamilton für den Norwegen-Film geschrieben hat, sei sehr gelungen. Was gefällt Ihnen daran so gut?

Ich finde es wirklich sehr gut gelungen, dass er auf der einen Seite die Erhabenheit dieser Landschaft in Tönen formulieren kann. Auf der anderen Seite gelingt es ihm, nicht kitschig zu werden, nicht romantisch, nicht vom Klang zu warm. Seine Musik hat immer eine gewisse Schroffheit, eine Kühle, die diese Landschaft tatsächlich vermittelt. Und sie macht den Film dreidimensional, schafft bei den Fjorden zum Beispiel diese unglaubliche Weite. Der Norwegen-Film ist wie eine Reinkarnation der großen Stummfilme. Er lässt Platz für eigenes Empfinden. Die Bilder sind so selbsterklärend und teilweise auch so überwältigend, dass man regelrecht hineingezogen wird in diesen Film. Und zusammen mit der Musik wird es ein Gesamtkunstwerk.

Mit Frank Strobel sprach Petra Berthold

Stand: 07.06.2022, 12.00 Uhr