Ein Tatort mit zehn Enden

Ein Tatort mit zehn Enden

Im WDR Hörspielstudio 7 wird gerade das interaktive Tatort-Hörspiel "Lücken" produziert. Wir haben einen Blick hinter die Kulissen geworfen.

© WDR/Anton Baranenko

Tatort: WDR Hörspielstudio 7 - "Herr Terziyan, Sie sind dringend verdächtig, die Journalistin Jana Peschke ermordet zu haben!" "Das stimmt nicht!" "An Ihrer Kleidung haben wir das Blut der Toten gefunden." "Aber ich kenn die Frau doch gar nicht! Warum sollte ich sie töten?" "Wunderbar! Hervorragend! Vielen Dank!" sagt WDR-Hörspiel-Regisseur Martin Zylka zufrieden in das Talkback-Mikrofon. "Ah, das geht runter wie Butter!", kommentiert der Verdächtige Tarek Terziyan, der jetzt wieder der Schauspieler Erol Afşin ist. Zusammen mit Stefanie Reinsperger, die seit Februar als Hauptkommissarin Rosa Herzog das Dortmunder Ermittlerteam um Peter Faber, Martina Bönisch und Jan Pawlak verstärkt, sprechen beide ihre Parts für das interaktive Tatort-Hörspiel "Lücken" ein.

Die Aufklärung des mysteriösen Mordfalls kann die Zuhörer:innen dabei am Ende selber steuern. Per Smart Speaker (Amazon Alexa oder Google Home), Smartphone-App oder direkt im Browser kann man den Gang der Ermittlungen durch Auswahl verschiedener Entscheidungen und Spielvariablen selber in die Hand nehmen. Insgesamt ergeben sich dadurch zehn verschiedene Enden der Geschichte von Autor Daniel Wild und Dramaturg Gerrit Booms.

"Lücken" ist nach dem im April vom Bayerischen Rundfunk produzierten "Höllenfeuer" das zweite interaktive Tatort-Hörspiel. Das crossmediale Konzept erfordert dabei in der Produktion auch eine vollkommen andere Herangehensweise als bei regulären Hörspielen - auch von den Schauspieler:innen: "Das ist schon ein bisschen wie ein Labyrinth. Es ist ja keine lineare Geschichte, die man einspricht, sondern es gibt ganz viele Versionen und Optionen. Man muss immer genau wissen, aus welcher Szene man gerade kommt, damit man weiß, an was man inhaltlich wieder andocken muss. Aber es ist schön und macht Spaß", sagt Stefanie Reinsperger. "Durch die unterschiedlichen Handlungsstränge, die der Zuhörer selber bestimmen kann, ist es für einen Schauspieler schon eine echte Herausforderung", ergänzt Erol Afşin.

Hilfe aus dem Internet

Auch für Regisseur Martin Zylka machen es die zahlreichen Handlungsvarianten bei der Produktion schwierig, die Übersicht zu behalten. Hilfe bietet hier ein Online Storytelling-Tool. "Man hat es hier wirklich schon etwas mit dramaturgischem Wahnsinn zu tun. Es ist wirklich so kompliziert gebaut, dass man zum Verfolgen der Geschichte ein Tool im Internet braucht, weil sich das auf Papier kaum noch übersichtlich darstellen lässt", erklärt Zylka. "Mir passiert es bei der Aufnahme immer wieder, dass ich da noch mal reinschauen muss, um zu sehen an welcher Stelle der Geschichte wir uns gerade befinden oder in welchem Erzählzweig wir uns gerade bewegen. Im Skript steht das ja alles hintereinander, aber eigentlich passiert vieles zeitgleich und nicht chronologisch. Und das macht es nicht einfach sich zu orientieren". Der Produktionsprozess erfordert also viel Konzentration – für die Zuhörer:innen wird es am Ende aber ganz einfach sein.

Zukunft des Hörspiels?

Wie komplex die Herstellung dieses interaktiven Tatorts ist, zeigt sich auch in der siebenwöchigen Produktionszeit. In "Lücken" werden neben Stefanie Reinsperger und Erol Afşin auch noch Anna Schudt (Hauptkommissarin Martina Bönisch), Rick Okon (Hauptkommissar Jan Pawlak) und Moritz Führmann (Staatsanwalt Matuschek) zu hören sein. Auch WDR 2-Moderatorin Sabine Heinrich hat einen kleinen Gastauftritt. Die Sprachaufnahmen werden dabei nicht nur aufgrund der Corona-Schutzbestimmungen gesplittet, sondern auch wegen der Terminplanung der viel beschäftigten Schauspieler:innen. Daran schließt sich eine aufwändige Postproduktion an, in der die Dialoge zusammengesetzt werden. Geräusche, Soundeffekte und Musik hinzugefügt und schließlich auch noch die abschließende Tonmischung und die Programmierung für das Internet erfolgen.

Mit dem interaktiven Hörspiel soll sich der beliebte Tatort-Kosmos vom linearen TV auch in die virtuelle Welt ausbreiten. "Ich glaube, dass das berechtigt neben einander steht. Und so einen Kriminalfall rein über den Hörsinn zu erzählen, ist ja sowieso eine komplett andere Welt. Aber ich bin gespannt, ob das jetzt nur Leute hören, die auch sonst Tatort gucken oder ob man damit auch noch andere Zielgruppen ansprechen kann. Das wäre schön", sieht es Stefanie Reinsperger. Die Möglichkeit, selber aktiv in eine Geschichte einzugreifen und sie zu steuern, wird man als Hörer:in in Zukunft wohl noch des Öfteren bekommen. Weitere interaktive Tatort-Folgen sind jedenfalls schon in Planung.

"Lücken" ist ein gemeinsames Projekt von WDR Hörspiel und IFU Fiktion und soll im Spätsommer bei tatort.de an den Start gehen.

Stand: 30.07.2021, 15.15 Uhr