Interview mit Elke Hauck, Autorin und Regisseurin

Interview mit Elke Hauck, Autorin und Regisseurin

Elke Hauck, Autorin und Regisseurin
© WDR/Unafilm

Frau Hauck, „Gefangen“ ist ein Drama mit einer gewissen Mystik. Wie würden Sie Ihren Film beschreiben?

Für mich ist es ein Psychodrama über den durch eine nicht gelungene Hilfeleistung traumatisierten Polizisten Harry. Ich habe versucht, Harrys ganz individuellen Weg entlang seiner eigenen Todessehnsucht zu erzählen. Diese Sehnsucht hat zunächst gar nichts Zerstörerisches; Harry folgt einfach mit einer gewissen Neugier und Hingabe seinem Gefühl. Da er zum Zeitpunkt des Geschehens aus einer Ehe mit zwei schon größeren Kindern geschieden ist und nun in einer neuen Beziehung noch einmal Vater werden wird, befindet er sich in einer Umbruchssituation. Es ist eine Situation, die viele kennen. Man hat sich aus etwas gelöst, das nicht mehr gut ging, und wagt einen Neuanfang. Aber das ist nicht nur beglückend – es verunsichert auch, es macht einen dünnhäutiger. Insofern verstehe ich den Film auch als eine Familiengeschichte.

Und, nicht zuletzt, ist „Gefangen“ auch eine Art Allegorie auf das Filmemachen. Harry, der in das Haus der toten Familie geht, stellt sich deren Leben vor, das er jedoch nicht wirklich kennt, und projiziert etwas auf den fremden Mann und dessen Frau und Kinder. Er kriecht für Momente bei ihnen unter und führt eine Art Doppelleben.

Mich fasziniert und begeistert der Gedanke, dass wir nur ein Leben haben, aber durch Literatur und Film unendlich viele andere Lebensschicksale kennenlernen. So kann die Idee wachsen, mal kurz ein anderes Leben auszuprobieren.

Die mystischen Elemente sollten deshalb umso mehr beinahe wie eine Realität daherkommen. Sind es Geister, die Harry rief, oder seine Vorstellungen – das ist dabei gar nicht wichtig. Es geht darum, dass seine Vorstellungen in dem Moment real sind.

Dies ist Ihr erster abendfüllender Fernsehfilm. Worin lag für Sie die besondere Herausforderung und inwieweit ist es von Vorteil, das eigene Drehbuch zu inszenieren?

„Gefangen“ ist mein dritter Langfilm, tatsächlich der erste für das Fernsehen.

Die vorhergehenden Filme, 2007 „Karger“ und 2011 „Der Preis“, sind eher dem Arthouse-Autorenkino zuzuordnen. Auch sie hatte ich selbst geschrieben. Insofern war die Situation für mich nicht neu.

Das Schöne bei dieser Personalunion ist für mich, dass man sehr tief mit dem verbunden ist, was man erzählt. Recherche und Schreiben führen schon zur Suche nach Bildern, nach einem atmosphärischen Gefühl für den späteren Film. Ich bin auch sehr gern in den Schnitt eingebunden und kann den Film eigentlich nicht loslassen, bevor er nicht fertig ist. Der Prozess ist ein Ganzes und bei aller Teamarbeit doch sehr persönlich.

Andererseits möchte ich betonen, dass ich bei dieser Arbeit sehr starke Partnerinnen und Partner hatte, angefangen bei Produzent Titus Kreyenberg und Redakteurin Lucia Keuter, die dem Projekt über Jahre treu geblieben sind. Wichtig war für mich aber auch der Kameramann Patrick Orth. Seine Lust an der Suche nach Bildern, nach Perspektiven und dem passenden Licht empfand ich als ungeheuer bereichernd.

Wie kamen Sie auf diese Geschichte?

Auf die Geschichte kam ich durch Interviews, die ich während der Recherche für meinen Film „Karger“ gemacht habe. Ein Mann erzählte mir, dass in seiner Familie immer alles zusammen gemacht wird. Wenn zum Beispiel nur ein Kind oder ein Elternteil Schuhe braucht, fahren alle immer gemeinsam zum Laden. Dieser Mann schien eine sehr große Angst zu haben, dass etwas die Familie auseinanderreißen könnte. Ich fand das unheimlich, besonders als ich hörte, dass alle vier dann zusammen einen schweren Unfall hatten … Die Erzählung dieses Mannes löste bei mir eine Flut von Projektionen aus. Da habe ich eine „Ersatzfigur“ gesucht für mich, jemanden, dem es ähnlich geht wie mir, dessen Begegnung mit der verunglückenden Familie aber noch viel unmittelbarer ist. Ich habe dann mit Polizisten gesprochen, bin mit Streife gefahren und hatte eine lange Korrespondenz mit einem ehemaligen SEK-Beamten. So entstand die Figur von Harry …

Die Regisseurin Elke Hauck ist eine sehr genaue Beobachterin
© WDR/Unafilm

Was brachten Wolfram Koch und Antje Traue aus Ihrer Sicht für die Besetzung mit?

Die Besetzung von Harry mit Wolfram Koch und von Ronald mit Godehard Giese hatte ich schon beim Schreiben im Kopf. Zwischendurch gab es andere Überlegungen, aber ich bin immer wieder bei den beiden gelandet. Ich kannte sie aus anderen Filmen, sie haben mich berührt. Wolfram Koch strahlt für mich eine unwiderstehliche Mischung aus Lebensfreude, Humor, Intelligenz und Körperlichkeit aus. Ich wollte, dass der Film trotz des Themas nicht in einer Depression versinkt. Harry wird auch kein Terrorist, kein Wutbürger oder Frauenhasser. Er verdrängt nicht, er folgt seiner Sehnsucht und Trauer mit großer Wärme und einer Aussicht auf Heilung. Dazu brauchte ich jemanden wie Wolfram Koch, der die Vitalität und Sensibilität dafür mitbringt.

Die Frauenfigur von Ellen zu entwickeln, zu besetzen und zu inszenieren, empfand ich als eine der größten Herausforderungen. Mir war wichtig, dass Harrys Partnerin mit ihm auf Augenhöhe ist. Sie will wissen, was mit ihm los ist, aber sie fühlt sich nicht persönlich angegriffen dadurch, dass er etwas durchmacht, woran er sie nicht direkt beteiligt. Sie vertraut ihm und reicht ihm die Hand, ohne sich in Selbstzweifeln zu verlieren. Antje Traue erschien mir mit ihrer Ausstrahlung von Klarheit, Sportlichkeit und Leidenschaftlichkeit für diese Figur genau die Richtige. Dass Ellen viel jünger ist als Harry, hat etwas damit zu tun, dass Ellen für Harry eine Herausforderung bedeutet. Er hat sich noch mal auf eine Frau eingelassen, sie ist schwanger von ihm, aber sie gehört einer neuen Generation von selbstbewussten Frauen an. Das alles macht ihm etwas Angst, aber stärkt ihn zugleich. Diese Besetzung war also ganz aus der Perspektive des Films heraus gedacht.


Wie verliefen die Dreharbeiten mit dem echten Wolf? Immerhin waren Harry, Ellen und das Mädchen Vicky für einen gefühlt langen Moment mit ihm in einem Zimmer gefangen.

Das war tatsächlich ein Erlebnis auf verschiedenen Ebenen. Wir hatten vor dem Dreh einige „Treffen“ mit dem Wolf, der bei seinem Tiertrainer aufgewachsen ist. Er war nicht wirklich zahm, aber es gab Situationen, in denen er neben dem Trainer zu unseren Füßen lag, während wir die Szenen besprachen. Niemand hatte Angst. Dann kamen die Momente, in denen der Wolf sich frei im Raum bewegen sollte. Er kam nahe an die Gesichter von Wolfram Koch und von Lola Liefers, die Harrys Tochter spielt, heran. Ich habe bei einer Probe neben Lola gesessen und gespürt, was das bedeutete. Wir mussten dem Tier vertrauen und das war sehr aufregend. In einer Szene ringt Harry sogar am Boden mit ihm. Beim zweiten Take bekam Wolfram Koch die Angst des Wolfes zu spüren, er musste ihn loslassen und wir konnten das nicht noch einmal drehen. Die Spiellaune war vorbei, für den Wolf war es ernst geworden. Das hat uns alle sehr beeindruckt.

Sie haben sich bei dieser Geschichte für eine fast eigenständige Filmmusik entschieden.

Bei diesem Film habe ich mein früheres Misstrauen gegenüber der manipulativen Seite von Filmmusik überwunden. Ich wusste von Anfang an, dieser Film braucht Musik, denn er braucht Empathie und die Bereitschaft, unserem Helden Harry überallhin zu folgen. Die Musik sollte ein wenig wie die Musik seiner Seele sein und uns Zuschauer*innen darauf einstimmen. Der erste Versuch des Komponisten Tobias Wagner klang sehr nach Spannung in einem Thriller. Wir merkten jedoch, dass die Musik mehr Eigenständigkeit haben musste. Ich habe ihn gebeten, nicht zögerlich zu sein, und auch keine Angst vor großer Emotionalität zu haben. So fanden wir einen neuen, ganz anderen Ansatz, der mir nun wie eine zusätzliche Erzählebene dieses Films erscheint.

Interview: Gitta Deutz

Stand: 10.03.2021, 12.00 Uhr