Am Set von ETHNO

Am Set von ETHNO

Für seine Rolle ließ sich Benaissa Lamroubal sechs Wochen coachen.
© WDR/Ben Knabe

Produktionsfahrzeuge parken in der engen Straße vor der „Alten Senffabrik“ im Herzen von Düsseldorf. Im Hinterhof sorgt eine Filmleuchte für gleichbleibendes Licht in dem ebenerdigen Raum. „Ruhe bitte, wir drehen“, ruft der Regieassistent. Die ehemalige Produktionsstätte für „Radschläger“-Senf ist eigentlich eine Eventlocation, mit ihrem Backstein-Industrie-Schick könnte sie aber auch eine hippe Agentur aus dem Medienbereich beherbergen. In der Szene, die an diesem 20. Drehtag auf dem Plan steht, machen sich die Protagonisten Ben (Benaissa Lamroubal) und Till (Leander Gerdes) für ihre Karriere zum Horst. Die schnöseligen Typen von der Produktionsfirma „Millenium“ (gespielt von Randolph Herbst und Hadi Khanjanpour) haben die tolle Idee, Gangster-Rapper aus den beiden Jungs zu formen. Ben soll türkische Phrasen rappen, reinstes Gangster-Rap-Klischee. Dass Ben aus Marokko kommt, sei der „dummen Masse“ schwer zu vermitteln, findet der Produzent: „Für die seid ihr alle Türken.“

Am Set in der „Alten Senffabrik“
© WDR/Ben Knabe

Schriftsteller Massoud Doktoran ist Co-Autor

Marvin Litwak, hier am ETHNO-Set, führte Regie Wir befinden uns am Set der ersten Fernsehserie des internationalen Künstlerensembles RebellComedy: ETHNO. Babak Ghassim gründete RebellComedy 2006 zusammen mit Comedian Ususmango. Heute besteht es aus acht Leuten, darunter Salim Samatou, Akhalid Bounouar und Hauptdarsteller Benaissa Lamroubal. Ghassim ist auch der Headautor des Vierteilers; als Co-Autor holte er sich den Schriftsteller Massoud Doktoran ins Boot. In der Serie spielt Lamroubal den Protagonisten Ben, der sein Studium abgebrochen hat. Als das Bafög-Amt seine Schulden eintreiben will, gerät er unter Druck. Bens Vater darf auf keinen Fall erfahren, dass sein Sohn nicht mehr studiert. Ben landet zufällig bei einem Comedy-Wettbewerb mit Preisgeld. Von da an sucht er sein Glück im Showgeschäft.

Wieviel Benaissa Lamroubal steckt in der Rolle?

Sowohl der Autor als auch der Hauptdarsteller konnten Erfahrungen aus der eigenen Karriere einbringen. „Wir hatten immer damit zu kämpfen, dass wir auf dieses Migranten-Ding reduziert wurden“, sagt Ghassim, „natürlich ist das ein Teil unseres Programms, aber überwiegend reden wir über ganz andere Dinge: Musik, Sport, Filme, Alltagserfahrungen.“ Lamroubal ist heute als Stand-Up-Comedian erfolgreich, tourt mit Soloprogrammen; sein Solo auf dem WDR-Youtube-Kanal wurde über eine Million Mal geklickt. Der 41-Jährige sammelte bereits erste Schauspielerfahrungen in Sketchen, die RebellComedy für den WDR gedreht hat. Für seine Hauptrolle ließ sich der ehemalige Lehramtsstudent sechs Wochen coachen. „Das war eher ein Crash-Kurs“, sagt Lamroubal. Natürlich hilft ihm seine langjährige Bühnenerfahrung als Comedian und Rapper. Und die Rolle des Ben ist recht nah am echten Benaissa: „Ich muss ja kein Fabelwesen spielen, die Figur macht sehr ähnliche Erfahrungen wie ich.“

Großes Lob von Regisseur Marvin Litwak

„Benaissa macht sich wunderbar als Darsteller“, lobt Regisseur Marvin Litwak. Die Komödie beinhalte durchaus auch dramatische Anteile und Gefühle, und auch die spiele der Comedian glaubwürdig. „Ich kann nur sagen: Hut ab, stramme Leistung.“ Er freut sich, dass nach der dreimonatigen Corona-Pause jetzt, im Juni, endlich weiter gedreht werden kann. Wer nicht vor der Kamera steht, trägt natürlich Maske. Zwischendurch geht Aufnahmeleiterin Anika Delhasse mit Handdesinfektionsmitteln herum.

Großes Lob von Regisseur Marvin Litwak
© WDR/Ben Knabe

Die Zusammenarbeit zwischen RebellComedy und dem WDR begann 2014 mit Mitschnitten aus den Comedy-Shows. 2017 kamen Sketche dazu, jetzt also wagen Redakteurin Elke Thommessen und das Künstlerensemble den logischen nächsten Schritt. Den Schritt zur Königsdisziplin des fiktionalen Erzählens: der Serie. Neben WDR-Producerin Ramona Schipler sind von Anfang an Produzent Humaam Mazyek und Producerin Laila Bounouar mit dabei, die das Projekt seitens RebellComedy verantworten. An der Produktion arbeiten Menschen aus knapp 40 Herkunftsländern.

Der Prozess des Drehbuchschreibens

„Eine Serie zu schreiben, war eine Herausforderung für uns“, sagt Ghassim, „man hat einmal die Gesamtdramaturgie über alle Folgen, und jede einzelne Episode muss in sich eine Dramaturgie haben.“ Dramaturg Dennis Eick, der unter anderem auch als Dozent für Serielles Schreiben arbeitet, unterstützte die Autoren beratend. „In kreativen Prozessen ist es ganz gut, jemanden zu haben, der sich punktuell einschaltet“, erklärt Eick, „ich nehme dann die Perspektive des Publikums ein: Wann bekomme ich was erzählt? Versteht man die Figur und ihre Motive?“ Die Zuschauer*innen sollen mit dem Protagonisten fühlen. Sich ärgern, wenn er Mist baut. Sich freuen, wenn er sein Ziel erreicht. Eick: „Das Buch ist sehr facettenreich geworden und hat eine ordentliche Tiefe bekommen.“

„Etwas Fiktionales, das in unserem Kosmos spielt“

Alle Beteiligten sind sich einig, dass der Weg von der ersten Idee bis zum fertigen Drehbuch lang und beschwerlich war. „Es sollte um RebellComedy gehen, aber keine Doku werden, sondern etwas Fiktionales, das in unserem Kosmos spielt“, sagt Babak Ghassim. Viele Brainstormings später war die Idee geboren, Ben auf die Reise durch eine Comedy- und Medienlandschaft zu schicken, die stets zuerst seinen Migrationshintergrund sieht. Für diesen Aspekt der Geschichte fanden die kreativen Köpfe eine sehr charmante Umsetzung: Waldemar Kobus, verkleidet als Bär, spielt Bens persönlichen Migrationshintergrund.

Dass am Set viel gelacht wird, vor allem wenn Randolph Herbst und Hadi Khanjanpour am Ende der Szene improvisieren, sollte nicht darüber hinwegtäuschen: Lustige Szenen zu schreiben und zu inszenieren, ist eine Kunst für sich. Und natürlich kommt es aufs richtige Timing an. In der Szene in der Agentur „Millenium“ sind es vor allem die Pausen, die den Worten die Bedeutung verleihen. „Sorry, das war jetzt überhaupt nicht so gemeint“, sagt der Produzent, „ich selbst habe mega viele türkische … Freunde.“

Text: WDR Kommunikation / Christian Gottschalk
Fotos: WDR / Ben Knabe

Stand: 14.10.2020, 11.45 Uhr