Interview mit Produzent Humaam Mazyek und Producerin Laila Bounouar

Interview mit Produzent Humaam Mazyek und Producerin Laila Bounouar

Welche Botschaft wollen Sie vermitteln?

Humaam: Wir haben keine Botschaft zu verbreiten, freuen uns aber, wenn wir ein stückweit die Lebenswelt und Herausforderungen von Menschen mit Migrationshintergrund auf eine unterhaltsame und lustige Weise erzählen und die Normalität dahinter zeigen können. Ich kann mir vorstellen, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund sich mit der Rolle von Ben identifizieren können, und alle anderen mit wenig Migrationshintergrund jemanden wie Ben vielleicht ein bisschen besser verstehen.

Was hat Sie dazu bewogen, den Migrationshintergrund von Ben als Bären darzustellen?

Laila: Es war ein spannender Prozess zu sehen, wie unterschiedlich sich jeder im Team so einen personifizierten Migrationshintergrund vorstellte – wir hatten ja alle kein „Vorbild“. Ein gemeinsamer Nenner für viele von uns war, dass unsere Eltern in den 60er und 70ern eingewandert sind. Deshalb trägt der Migrationshintergrund in der Serie auch den Style der 70er – mit kleiner Hommage an Jimi Hendrix, wie man an seinem Halstuch sieht. Wir parodieren natürlich auch ein wenig die Vorstellung, dass alle Ausländer behaart sein müssen. Aber letztendlich ist der Migrationshintergrund der Serie ein fiktives Wesen, eine Art Fabelwesen, inspiriert von Kindheitserinnerungen wie „wo die wilden Kerle wohnen“, bei dem es kein „so hat er auszusehen“ gibt.

Laila Bounouar und Humaam Mazyek
© WDR/Herby Sachs

Wieso war es so wichtig, dem Migrationshintergrund eine Gestalt zu geben?

Humaam: Die Personifizierung des Migrationshintergrundes lässt ganz anders über den viel thematisierten „Migrationshintergrund“ sprechen und erzählen
- nämlich nicht als abstraktes, manchmal sogar akademisches Konstrukt. Stattdessen sprechen wir viel entspannter, oder sogar amüsiert über eine Figur mit Marotten, eigenem Charakter, die man weder verteidigen noch befürworten muss, sondern die einfach mal so hingenommen wird. Auf diese Weise konnten wir den Konflikt zwischen Ben und seinem Migrationshintergrund, das Hin- und Her zwischen Kultur der Eltern und eigener Identitätsfindung, auf eine unterhaltsame Weise erzählen, ohne dabei Gefahr zu laufen, dass alles aufgesetzt wirkt.

Laila: Die Auseinandersetzung mit dem Migrationshintergrund verläuft vielschichtig, so muss sich Ben mit seinen eigenen Wurzeln auseinandersetzen, was sich u.a. im Streit mit seinem Vater zeigt. Gleichzeitig muss sich Ben gegen Zuschreibungen von Zuhause und der Gesellschaft behaupten, und ist gezwungen in dieser Gemengelage seinen eigenen Weg zu beschreiten.

Wie realistisch ist die Figurenzeichnung? Welche persönlichen Erlebnisse, Geschichten sind ins Drehbuch eingeflossen?

Humaam: Im Drehbuch sind viele Geschichten und Figuren, die so oder so ähnlich stattgefunden haben bzw. in der realen Welt existieren. Unser Autor Babak hat sich von unserer Lebenswelt und den Leuten um uns herum inspirieren und viele dieser „Zutaten“ ins Drehbuch einfließen lassen. Anfangs waren im Drehbuch viele Namen der Rollen noch identisch mit ihren realen Vorbilden und wir hatten sogar bisschen Schwierigkeiten uns von diesen lebendigen Vorbildern zu lösen und uns neue, fiktive Namen für diese auszudenken. Diese Loslösung erlaubte uns aber auch jeder Figur noch etwas Lustiges, Absurdes oder Verrücktes mitzugeben.

Gleichzeitig war der Bezug zu unserer echten Welt hilfreich in der Umsetzung des Drehbuchs, z.B. hatte Laila dadurch bei der Auswahl der Schauspieler das notwendige Gespür was sich der Autor bei den Charakteren gedacht hat und dementsprechend gecastet.

Bens Schwester Samira ist eine der wenigen Frauen in der Serie. Welche Rolle spielt sie?

Laila: Samira ist Bens Gewissen, die Stimme der Vernunft und hält ihm häufig den Spiegel vor. Gleichzeitig ist sie Bens Vertraute, gibt ihm Halt und hilft ihm, seinen Weg zu finden. Sie ist Bindeglied zwischen Gesellschaft und Vater. Genau genommen ist Samira am besten integriert und findet sich in den verschiedenen Lebenswelten am besten zu recht.

Diversität wird bei ETHNO auch hinter der Kamera abgebildet: Die Serie wurde zum Großteil von Menschen produziert, die selbst eine Migrationsgeschichte haben. Worauf haben Sie bei der Zusammenstellung des Teams geachtet?

Humaam: Es ist sehr hilfreich, wenn ein kultureller Background der Kolleginnen und Kollegen einfließen kann in Produktion der Bilder, Ton, Musik, wo es auch um die Feinheiten in der Darstellung der verschiedenen Kulturen und Lebenswelten geht. Es war nicht einfach, diese Leute zu finden. Unser Eindruck ist, dass es viel weniger Menschen mit Migrationshintergrund in der Filmbranche gibt, sowohl vor als auch hinter der Kamera.

Laila: Wir haben versucht darauf zu achten, dass in der Produktion nichts verfälscht wird und man uns zuhört, wenn wir nicht mit den konventionellen Methoden arbeiten, weil es uns sehr wichtig war, dass wir vieles möglichst authentisch darstellen. Der WDR und die verantwortliche Redaktion hat uns hier auch vertraut und sogar bestärkt, dies auszuleben. Persönlich war uns wichtig, dass die beteiligten Menschen an das Projekt glauben. Das ist insbesondere am Anfang notwendig, wo es noch keinen großen Apparat gibt, der rollt und wo es auf einzelne Mitstreiter ankommt das Projekt voranzutreiben. Manch einer hat oder hätte vielleicht gesagt „kommt später wieder“. Außerdem war es uns wichtig viele junge Leute im Team zu haben und ihnen eine Chance zu geben, sich in der Filmindustrie zu etablieren.

Inwiefern merkt man diese Entscheidung der Serie an?

Laila: Charaktere und Bilder sind authentisch, unser Publikum kann sich dadurch identifizieren oder auch einen Einblick in die Lebenswelt von Menschen mit „Migrationshintergrund“ bekommen. Es ging nicht darum, eine Welt zu zeigen, die stylisch und perfekt ist oder auf der anderen Seite zu dramatisch. Das merkt auch an der Auswahl der Musik, Dialoge oder Witze. So haben z. B. viel Musik verwendet, mit der wir aufgewachsen sind, auch wenn viele WDR Zuschauer*innen diese nicht kennen.

Humaam
: Auch in der Produktion ist so einiges unkonventioneller gelaufen. Ich glaube, sogar selbst beim WDR ist die Entstehungsgeschichte dieser Serie nicht nach dem sonst geläufigen Schema verlaufen. Hier gilt auch nochmal der ausdrückliche Dank den WDR und die verantwortliche Redakteurin Elke Thommessen und Kollegen, dass sie von Anfang an dieses Projekt unterstützt haben und die notwendigen Hürden mitgegangen sind. Denn klar gib es bei einem solch umfangreichen Projekt auch schwierige Momente, durch die man durchmuss. Wir haben da an einem Strang gezogen und letztendlich diese Serie realisiert.

Zum Inhalt von ETHNO:

Ben – gespielt von Benaissa Lamroubal – ist Sohn eines Auswanderers aus Marokko. Die Latte hing hoch, als er ein Ingenieurstudium aufnahm. Denn sein Vater hat seine Heimat verlassen, damit es seinen Kindern mal besser geht. Nun dankt es ihm sein Sohn, indem er auf ganzer Linie versagt. Noch weiß der Vater nicht, dass Ben längst nicht mehr zur Uni geht. Und nichts fürchtet der Studienabbrecher mehr, als in den Augen des Vaters die Enttäuschung über ihn zu lesen. Zum Glück ist Ben nicht allein. Er kann auf den Rat seines Freundes Ramon zählen. Ramon kennt sich aus und überrascht stets mit neuen Ideen – vom kreativen Cannabis-Deal bis hin zum Design und Vertrieb erotischer Schuhmode. Bens einflussreichster Ratgeber ist aber sein persönlicher „Migrationshintergrund“, der sich ständig in den Vordergrund drängt. Natürlich nur, weil er es gut mit Ben meint.

Stand: 14.10.2020, 11.45 Uhr