Waldemar Kobus im Interview

Waldemar Kobus im Interview

Welches Bild vom Migrationshintergrund hatten Sie beim Lesen des Drehbuchs?

In der Tat entstand vor meinem geistigen Auge schon beim ersten Lesen ein recht klares Bild von der Rolle des Migrationshintergrundes und ich stellte mit Schrecken fest, dass es mir verdächtig ähnlich sah. Dennoch faszinierte, beschäftigte und begeisterte mich diese Rolle von Anfang an.

Haben Sie auch einen persönlichen Migrationshintergrund, der Sie begleitet?

Mein Migrationshintergrund - den habe ich zum ersten Mal in der ersten Woche nach meiner Einschulung bemerkt. Da hat der Kerl dafür gesorgt, dass ich das „R“ so rolle, wie man es in Polen tut, von wo meine Eltern mich zweieinhalb Jahre nach meiner Geburt nach Deutschland gebracht haben. Damit hatte mein polnischer Migrationshintergrund umwerfenden Erfolg bei den Kindern in meiner Klasse, die mein „R“ abwechselnd mit Gelächter, Getuschel oder Polacke-Rufen honorierten. Im Lauf der Jahre ist zu meinem polnischen noch ein hochdeutscher Migrationshintergrund hinzugekommen, der immer in Bäckereien zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen auf mich wartet und seine Show abzieht, sobald ich den Mund aufmache. Die größten Erfolge feiert mein hochdeutscher Begleiter übrigens in der Schweiz, wo er es immer wieder schafft, Menschen aufzutreiben, die mir den Unterschied klar machen zwischen Geduldet-sein und Willkommen-sein.

Waldemar Kobus
© Charininphoto

„Was, wenn ich irgendwann ganz verschwinde?“, fragt sich der Migrationshintergrund. Können Sie sich vorstellen, dass die Migrationsgeschichte eines Menschen irgendwann keine Rolle mehr spielt?

Würde der Migrationshintergrund eines Menschen irgendwann ganz verschwinden, so wäre das für diesen Menschen eine riesige seelische Katastrophe. Einen Teil seines Lebens zu verlieren oder gar verleugnen zu müssen, ist furchtbar. Aber wenn die Menschen, denen man begegnet, nur noch den Migrationshintergrund sehen und dieser anfängt, die Rolle des Migrationsvordergrundes zu spielen, dann ist dies noch weit schlimmer. Die Rolle, die ein Migrationshintergrund spielt, ist leider nicht nur davon abhängig, wieviel Raum ihm sein Mensch gibt, sondern in viel größerem Maße davon, wieviel Bedeutung und Größe ihm die Leute verleihen, denen dieser Mensch begegnet.

Also, lieber Mitmensch: Wenn du vor lauter Migrationshintergrund keinen Menschen mehr siehst, dann überdenke doch mal deine Sehgewohnheiten. Tausend neue Sachen, die gibt es überall zu sehn, manchmal muss man fragen, um sie zu verstehen .... der, die, das ..... wer ......

Zum Inhalt von ETHNO:

Ben – gespielt von Benaissa Lamroubal – ist Sohn eines Auswanderers aus Marokko. Die Latte hing hoch, als er ein Ingenieurstudium aufnahm. Denn sein Vater hat seine Heimat verlassen, damit es seinen Kindern mal besser geht. Nun dankt es ihm sein Sohn, indem er auf ganzer Linie versagt. Noch weiß der Vater nicht, dass Ben längst nicht mehr zur Uni geht. Und nichts fürchtet der Studienabbrecher mehr, als in den Augen des Vaters die Enttäuschung über ihn zu lesen. Zum Glück ist Ben nicht allein. Er kann auf den Rat seines Freundes Ramon zählen. Ramon kennt sich aus und überrascht stets mit neuen Ideen – vom kreativen Cannabis-Deal bis hin zum Design und Vertrieb erotischer Schuhmode. Bens einflussreichster Ratgeber ist aber sein persönlicher „Migrationshintergrund“, der sich ständig in den Vordergrund drängt. Natürlich nur, weil er es gut mit Ben meint.

Stand: 14.10.2020, 11.45 Uhr