Nach dem Feuer in Moria: Das Leiden geht weiter

Isabel Schayani und Bamdad Esmaili im WDR-Interview

Nach dem Feuer in Moria: Das Leiden geht weiter

Isabel Schayani und Bamdad Esmaili haben eine Woche aus dem ausgebrannten Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos berichtet. Gerade erst zurückgekehrt, erzählen sie von ihren Eindrücken und ihrer Arbeit vor Ort.

„Die Kinder waren anders nach dem Brand. Das lässt einen nicht unberührt.“ Isabel Schayani mit Fayegheh und ihren Geschwistern
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Herr Esmaili Sie kommen direkt vom Flughafen. Sie sind von Lesbos noch weiter nach Athen gereist, bevor Sie jetzt zurückgekommen sind. Was haben Sie dort gemacht?

Bamdad Esmaili: Ich habe Leute getroffen – darunter auch Frauen und Kinder –, die im Park schlafen, weil sie 30 Tage nach ihrem Asylbescheid das Flüchtlingslager verlassen müssen und dann vom griechischen Staat keinerlei Unterstützung bekommen. Wir haben einen Beitrag für die „Aktuelle Stunde“ gedreht und Live-Streams für WDRforyou gemacht.

Wie schwierig ist es in Zeiten von Corona, kurzfristig eine solche Dienstreise zu machen?

Esmaili: Das Feuer in Moria war in der Nacht vom 8. auf den 9. September ausgebrochen, und wir wollten direkt am nächsten Tag dorthin. Man muss sich aber wegen Corona 48 Stunden vorher registrieren lassen, deshalb konnten wir nicht am Mittwoch, sondern erst am Freitag einreisen. Vor Ort ist es natürlich eine Herausforderung, in der Hitze ständig Maske zu tragen. Und man kann nicht immer die Abstände halten. Man hat ständig Grüppchen um sich herum; alle wollen einen anfassen und mit dir reden.

Sie waren schon mehrfach in Lesbos, kannten die Familie des afghanischen Mädchens Fayegheh bereits, die sie jetzt wieder aufgesucht haben. Deren Mutter hat sich bei Ihnen, Frau Schayani, aus dem brennenden Lager gemeldet. Wie war das?

Isabel Schayani: Ich bin um Viertel nach sechs aufgewacht und habe gesehen, dass sie versucht hatte, mich anzurufen. Dann schickte sie mir Sprachnachrichten und zuletzt ein Video, wie die Familie unter einer Decke auf der Straße liegt.

Bamdad Esmaili (mit Maske): „Man kann nicht immer die Abstände halten. Man hat ständig Grüppchen um sich herum; alle wollen mit dir reden.“
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Bamdad Esmaili (mit Maske): „Man kann nicht immer die Abstände halten. Man hat ständig Grüppchen um sich herum; alle wollen mit dir reden.“

Es gibt mittlerweile ein Zeltlager des UNHCR, aber viele Geflüchtete wollten dort aus Angst zunächst nicht hin. Hat sich das geändert?

Esmaili: Zuletzt sind immer mehr Menschen auf Betreiben der Polizei dorthin gegangen. Bis gestern fast 10.000 Leute. Sie hatten auch keine andere Wahl, sie haben gehungert und hatten kein Dach über dem Kopf, lagen draußen in der Hitze herum.

Ist in der Zeit, die Sie da waren, keine Hilfe zu den obdachlosen Menschen durchgedrungen?

Schayani: Wir haben erlebt, dass NGOs oder Einzelpersonen, die versucht haben, Lebensmittel zu den Geflüchteten zu bringen, von der Polizei verscheucht worden sind. Wir haben aber auch Situationen erlebt, dass Leute mit Kisten reindurften. Es gab Essens- und Wasserausgaben; eine Frau hat uns erzählt, dass sie drei Liter Wasser für fünf Personen in 24 Stunden bekommen hat. Es war eine sehr unübersichtliche Situation, und es gab auf gar keinen Fall eine systematische Versorgung. Die Polizei hatte eine Strategie: die Flüchtlinge durch Hunger und Durst dazu zu bringen, in das Lager zu gehen.

Esmaili: Allerdings berichten uns Leute, dass sie auch im Zeltlager weiterhin hungern, dass nur einmal am Tag Essen und Wasser verteilt wird. Das Leiden geht weiter.

Wie waren Ihre Arbeitsbedingungen? Wurden Sie behindert?

Esmaili: Anfangs wurden wir gewarnt vor „Faschisten“, die Flüchtlinge und Journalisten angreifen. Denen sind wir aber nicht begegnet. Wir konnten zunächst frei arbeiten. Ab Montagnachmittag haben uns die meisten Polizisten aber nicht mehr auf den Straßenabschnitt gelassen, wo sich die Flüchtlinge befanden. Das war sehr willkürlich. Wir konnten dann nur noch von außen berichten und telefonisch kommunizieren. In das neue Camp hat man uns auch nicht gelassen.

Woher kommen diese „Faschisten“, was sind das für Leute?

Schayani: Das ist eine Art Bürgerwehr. Man muss sagen, dass viel gestohlen wird in Moria. Manche Einheimische sind immer noch hilfsbereit, bei anderen kippt es in Ablehnung oder Aggression und Gewaltbereitschaft. Die extremen Rechten sind aber nicht die Mehrheit.

Konnten Sie mit Einheimischen sprechen?

Schayani: Die Bevölkerung von Lesbos ist weitestgehend genervt von Journalist*innen. Wir Journalistinnen und Journalisten berichten darüber, wie schlimm es dort ist, und es kommen keine Touristen mehr. Sie fürchten, dass ihre Insel immer weiter den Bach runtergeht. Es gibt aber ein paar, mit denen man noch ins Gespräch kommt, und die immer noch ausgesprochen freundlich sind.

Seit sieben Jahren werden auf Lesbos Geflüchtete in unhaltbaren Zuständen festgehalten – bis zu 20.000 Menschen in einem Lager, das für 2.800 konzipiert wurde. Warum verteilt man sie nicht wenigstens auf das griechische Festland?

Esmaili: Ich würde sagen, das dient einerseits zur Abschreckung, andererseits ist die griechische Regierung auch einfach überfordert.

Schayani: Es ist ja Teil des EU-Türkei-Deals – die Anhörungen zum Asylverfahren finden hier statt, aufs Festland sollten theoretisch nur die kommen, die für schutzbedürftig befunden werden. Die Zustände entsprechen aber nicht europäischen Standards. Vor Corona durften sich die Geflüchteten wenigstens noch frei bewegen.

Wie lange warten die Menschen dort auf ihren Asylbescheid?

Schayani: Ein bis anderthalb, manchmal auch zwei Jahre.

Wie reagieren die Geflüchteten auf Journalist*innen?

Schayani: Es gibt unterschiedliche Reaktionen. Uns kennen viele – für die sind wir „Herr Esmaili und Frau Elisabeth“, vermutlich, weil ihnen Elisabeth vertrauter ist als Isabel.. Es hat sich rumgesprochen, dass wir Persisch können. Sie sprechen mit uns, und wenn die Kamera aus ist, sagen manche: „Warum dreht ihr uns, warum gebt ihr uns kein Wasser?“

Frau Schayani, Sie bewegen sich in Ihren Berichten oft auf einem Grat zwischen Empathie und Sachlichkeit. Bei der Live-Schalte aus Moria in die Anne Will Sendung am 13. September hatte man den Eindruck, dass Sie kurz davor sind, die Fassung zu verlieren. War es so?

Schayani: Damit beschreiben Sie meine große Schwäche und gleichzeitig vielleicht auch meine Stärke. Wir hatten die Kinder wiedergesehen, und die waren anders nach dem Brand. Das lässt einen nicht unberührt. Ich bemühe mich dann um Professionalität. Mal gelingt' s und mal nicht.

Kurz nach ihrer Rückkehr im Interview mit Autorin Christine Schilha: Isabel Schayani und Bamdad Esmaili
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Wie verarbeiten Sie nach solchen Einsätzen die psychische Belastung?

Esmaili: Man unterhält sich untereinander viel über das Erlebte, es wird auch mal geheult. Ich hab für mich seit Jahren ein Schutzschild aufgebaut und versuche, es nicht so nah an mich heran zu lassen. Aber das ist nicht immer einfach. Wenn du für eine Mutter Milch besorgst, und dann fragt dich der Sohn: „Onkel, kannst du mir Lego kaufen?“ – das geht dir als Vater ans Herz.

Text: WDR Presse und Information, Christine Schilha

Fotos: WDRforyou / WDR/ Max Kohr

Stand: 23.09.2020, 13.20 Uhr