Interview mit Henny Reents

Verunsichert – Alles Gute für die Zukunft

Interview mit Henny Reents

„Ich kann das nicht mehr ertragen, ich kann das nicht mehr ignorieren, ich kann das auch nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren“

Regisseur und Drehbuchautor Jörg Lühdorff war beim Casting sofort von Ihnen überzeugt. Offenbar wollten Sie diese Rolle unbedingt haben ...

Entscheidend war, dass die Geschichte auf einer wahren Begebenheit beruht und ich die Figur Franziska Schlüter unglaublich inspirierend finde. In einer Situation, die hoffnungslos wirkt, ist sie voller Hoffnung und zeigt, dass man immer etwas bewirken kann. Sie ist eine sehr mutige Frau. Trotz ihrer Furcht, vor Leuten zu sprechen, legt sie sich mit einem milliardenschweren Versicherungskonzern an und setzt sich für Menschen ein, die vor Gericht keine Chance zu haben scheinen. Dass sie die ganzen internen Mechanismen der Versicherungsbranche kennt und aufdeckt, macht sie zu einer Art Whistleblowerin in dieser David-gegen-Goliath-Geschichte. Und das hat mich von Anfang an sehr gepackt. Ich habe das Buch gelesen und sofort gesagt: Ja, ich möchte diese Figur unbedingt spielen.

Haben Sie sich vor dem Dreh mit Beatrix Hüller getroffen?

Ich wollte sie auf jeden Fall kennenlernen, und zum Glück hatte ich die Möglichkeit kurz vor der Produktion. Mir war das sehr wichtig. Als Schauspielerin spürt man ja eine ganz andere Verantwortung, wenn man weiß, dass die Figur nach dem Vorbild einer realen Person entstanden ist – auch wenn klar ist, dass da natürlich auch noch fiktionale Aspekte hinzugekommen sind. Mir ging es darum, einige wesentliche Fragen mit ihr zu klären.

Filmszene Verunsichert

Als die Witwe eines Antragstellers dem Hinhalte-Gebaren der Aescuria die Schuld am Freitod ihres Mannes gibt, fragt sich Franziska (Henny Reents) immer mehr, ob sie ihr berufliches Tun noch vor sich selbst verantworten kann.
© WDR/Zeitsprung Pictures/Guido Engel

Welche denn?

Ich hatte vor dem Gespräch mit Beatrix Hüller schon viel recherchiert. Zum Glück gibt es viel Material im Internet, auch von Geschädigten. Darunter sind Leute, die schon seit 30 Jahren versuchen, ihre Rechte durchzuboxen. Die haben nicht nur einen Schicksalsschlag zu verarbeiten, die gehen von einer Berufung in die nächste und haben es sich zu ihrer Lebensaufgabe gemacht, zu ihrem Recht zu kommen. Ich fand das alles sehr aufschlussreich. Und natürlich war ich dann ganz schnell bei der Frage, wie man für ein Unternehmen arbeiten kann, das seine Kunden derartig behandelt. Das wollte ich unbedingt herausfinden. Egal, was ich für eine Figur spiele: Ich möchte immer den Menschen dahinter zeigen. Also muss ich auch verstehen, warum er so handelt, wie er handelt.

Und wie lautet die Antwort?

Beatrix Hüller hat mir bestätigt, was ich auch schon im Netz herausgefunden hatte: dass da viel über das Gemeinschaftsgefühl funktioniert, über die Firmenzugehörigkeit, über Anerkennung. Es gibt Boni, es gibt Feiern – die Firmen unternehmen sehr viel dafür, dass es ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gut geht, sich alle als ein Team fühlen und man das eigene Tun nicht zu sehr hinterfragt. Die menschlichen Schicksale lässt man da gar nicht an sich rankommen. Frau Hüller hat dort tatsächlich sehr gerne gearbeitet. Und doch hat sie schließlich bei der Versicherung aufgehört und ist Anwältin geworden. Natürlich habe ich auch darüber mit ihr gesprochen.

Auch Franziska wirkt anfangs so, als würde sie die Arbeit bei der Versicherung sehr erfüllen. Und trotzdem geht sie.

Ja, sie bricht aus diesem leicht Hörigen, Gefügigen aus. Für mich hat das sehr viel damit zu tun, dass Franziska sehr gewissenhaft ist. So jemand wie sie kann die Folgen ihres Tuns nicht dauerhaft ignorieren. Und als einer ihrer Kunden dann Suizid begeht, ist der Punkt erreicht, an dem sie sagt: Ich kann das nicht mehr ertragen, ich kann das nicht mehr ignorieren, ich kann das auch nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren. Im Grunde geht es darum, das Richtige zu tun.

Auch wenn das mit einem großen Risiko verbunden ist...

Franziska stellt ihre komplette berufliche Existenz noch einmal in Frage. Das finde ich auch vor dem Hintergrund der Corona-Zeit extrem spannend. Wir Deutschen sind ja ein Volk der Versicherungsweltmeister. Und auf einmal stellen wir fest, dass man sich doch nicht gegen alles absichern kann. Wenn es die Scheinsicherheit, an der wir uns so tüchtig festhalten, nicht mehr gibt, wenn man dermaßen verunsichert wird, dann setzt man auf einmal ganz andere Prioritäten. Dann geht es um die wirklich existenziellen Fragen. Was ist wichtig in meinem Leben, wofür stehe ich ein? Brauche ich wirklich den totalen beruflichen Erfolg, um zufrieden zu sein? Was ist es, was mich glücklich macht? Auf einmal geht es wieder zurück zu den eigenen, ursprünglichen Werten. Das ist bei meiner Figur ganz ähnlich.

Und Franziska Schlüter scheut sich nicht, die Konsequenzen zu ziehen. Ganz genau so wie Beatrix Hüller.

Und sie wirkt dabei so unglaublich bescheiden. Das hat mich auch so an dieser Geschichte fasziniert: dass sie eben nicht so eine Staranwältin ist, die in den Gerichtssaal geht, und sofort kleben alle an ihren Lippen. Sie ist eine sehr bescheidene, sehr liebenswürdige Frau. Und sie hat den Mut, sich mit solchen Konzernen anzulegen. Bemerkenswert.

War es schwer, Franziska Schlüter zu spielen und nicht Beatrix Hüller?

Es war schon ein Prozess, sich von dem Original zu verabschieden. Das musste aber sein. Man muss frei sein im Kopf und der Geschichte vertrauen, um spielen zu können.

Hat es Sie nicht irritiert, das Original in der Rolle der Richterin zu sehen?

Ich war wirklich froh, dass ich sie schon im Vorfeld kennengelernt hatte und wir mehrfach miteinander gesprochen hatten. Ich konnte das in dem Moment dann ganz gut ausblenden. Außerdem haben wir die Szene ziemlich am Ende gedreht. Ich war da so in meiner Geschichte drin und so auf meine Arbeit fokussiert, da konnte mich das nicht wirklich raushauen.

Für die Entwicklung Ihrer Figur sehr wichtig ist der Anwaltskollege Franz Sachtler, gespielt von Martin Brambach.

Ja, er hat diese Mentoren-Funktion. Das fand ich übrigens auch spannend an Franziska: dass sie Angst hat, vor Leuten zu reden. Dahinter steckt ja auch immer die Furcht, Dinge von sich preis zu geben und sich dadurch angreifbar zu machen. Das kenne ich selbst auch gut. Viele denken ja, als Schauspielerin sei man automatisch ganz souverän. Aber es ist eben doch noch mal eine andere Sache, wenn man über sich selbst spricht. In dem Film gibt es einige sehr schöne Szenen, in denen Franziskas Kollege sie da sehr gut unterstützt.

Und was sagen Sie zu Martin Brambach?

Ich fand total toll, dass er so eine kindliche Neugierde hat und solch eine Begeisterung für diesen Beruf. Das spürt man sofort. Und ich mag, dass er viele Vorschläge macht. Ich sauge so etwas gerne auf. Die Zusammenarbeit mit ihm habe ich sehr genossen.

Stand: 17.08.2020, 12.00 Uhr