Fragen an Christoph Wortberg (Drehbuch)

Der Tatort aus Köln - Gefangen

Fragen an Christoph Wortberg (Drehbuch)

Sonntag, 17. Mai 2020, 20:15 Uhr, Das Erste

Christoph Wortberg in der Rolle des Frank Dressler in der "Lindenstraße" (2016)
© WDR/Steven Mahner

Gefangen" erzählt auch die Geschichte von zwei Schwestern Julia und Christine, die seit dem Unfalltod ihrer Eltern eng miteinander verbunden sind. Wie würden Sie die Beziehung der beiden zueinander beschreiben?

„Beide Schwestern spielen Rollen, die ihnen der Tod der Eltern zugewiesen hat. Die eine kümmert sich, die andere ist abhängig. Daraus erwachsen bei beiden auch negative Gefühle. Christine sorgt sich jahrelang um ihre psychisch kranke kleine Schwester. Ihr eigenes Leben kommt dabei zu kurz. Julia ist ihr dankbar. Gleichzeitig fühlt sie sich schuldig. Zwischen den beiden herrscht ein latentes Ungleichgewicht. Alles ist ambivalent. Das ist die Ursache für die verhängnisvollen Entscheidungen, die von beiden getroffen werden. Und genau das macht die Geschichte dieser Schwestern zu einer tragischen Geschichte.“

Der Tatort" spielt über weite Strecken in der geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Klinik. Wie haben Sie für den Fall recherchiert?

„Ich habe sehr intensiv über Wochen mit dem Leiter einer psychiatrischen Klinik gesprochen, Bücher gelesen und mir Dokumentationen zum Thema angeschaut. Man muss wissen, worüber man erzählt. Wichtig war mir, das innere Gefangensein der Figur Julia deutlich zu machen, ohne die Psychiatrie als solche zu diffamieren. Es ging vor allem darum, der Geschichte gerecht zu werden, ohne in Klischees zu rutschen. Eine Gratwanderung, die Ausstattung, Kostüm und vor allem die Regisseurin Isa Prahl hervorragend gemeistert haben.“

Auch Max Ballauf steckt mitten in einer therapeutischen Behandlung. Wie wirkt sich sein aktueller Zustand auf seine Ermittlungsarbeit aus?

„Max ist traumatisiert. Das macht ihn so empfänglich für die Atmosphäre, der er in der psychiatrischen Klinik begegnet. Er fühlt sich selbst wie ein Patient. Was ihn zunehmend die so wichtige Distanz zwischen sich und den Insassen der Klinik verlieren lässt. Er identifiziert sich mit Julia, sieht Parallelen zwischen ihrer Geschichte und seinen eigenen traumatischen Erlebnissen. Im Verlauf des Filmes wird er immer verletzlicher. Der Grat, auf dem er wandert, wird immer schmaler. Aber genau das bringt ihn schließlich der Lösung des Falles entscheidend näher.“

Gefangen sein, was macht das mit einem?

„Ich glaube, wir alle sind auf die eine oder andere Art gefangen. In unserem Job, unserem Privatleben. In unseren Sehnsüchten, unseren Träumen. In der Art, wie wir die Welt begreifen. Wir sehnen uns nach Sicherheit und gleichzeitig nach Freiheit. Innerer wie äußerer. Julia ist gefangen. Max ist gefangen. Und auch Freddy ist gefangen. Er will dem Freund helfen und merkt, dass er es nicht kann. Max will sich von seinem Trauma befreien, Julia will aus der Klinik raus. Beide kämpfen nach Leibeskräften gegen ihr Gefangensein, das ihnen jede Sicherheit geraubt hat. Max hat am Ende Erfolg. Julia scheitert. Aber sie hat sich gewehrt. Sie hat es versucht. Wenigstens das. Dieser unbändige Drang nach Freiheit ist das, was ich an dieser Figur so mag.“

Was ich an den Figuren Freddy und Max (und damit an den beiden Schauspielern Dietmar Bär und Klaus J. Behrendt) generell mag: ihr Herz für andere, ihre Fähigkeit zur Empathie. Sie wissen immer auch um ihre eigene Begrenztheit, ihr eigenes Gefangensein. Wie sie ihr Verständnis für die menschlichen Abgründe, denen sie in ihren Ermittlungen begegnen, an die Zuschauer weitergeben, hat für mich etwas Tröstliches.“

Christoph Wortberg | geboren 1963 in Köln | Drehbuchautor und Schriftsteller | Für seinen Kriminalroman »Die Farbe der Angst« gewann er 2007 den Hansjörg-Martin-Preis | Für seinen Roman »Der Ernst des Lebens macht auch keinen Spaß« war er 2015 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert | Als Drehbuchautor schrieb er u.a. für »Großstadtrevier«, »Soko Köln«, »Der letzte Bulle« | 2017 schrieb er das Drehbuch zu dem Kölner Tatort »Nachbarn« | 2018 schrieb er das Drehbuch zu dem Kölner Tatort »Familien«

Stand: 14.04.2020, 13.15 Uhr