WDR: Bildungsniveau bei Flüchtlingen klafft weit auseinander - Viele Hochgebildete und viele ohne Berufsausbildung

WDR: Bildungsniveau bei Flüchtlingen klafft weit auseinander - Viele Hochgebildete und viele ohne Berufsausbildung

Lange Zeit war unklar, welchen Bildungsstand Flüchtlinge haben, die nach Deutschland gekommen sind. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesarbeitsagentur veröffentlicht erstmals exklusiv für tagesschau.de Zahlen zum Bildungsniveau der Flüchtlinge. Sie zeigen, dass der Bildungsstand weit auseinander klafft.

Die 19-jährige Luwam (l-r), die 17-jährige Tewen und der 17-jähriger Simon

© Monika Skolimowska/dpa

Diese Analyse stützt sich auf eine Befragung des Bundesministeriums für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aller im Jahr 2015 registrierten Asylbewerber. Die Ergebnisse wurden anschließend nach deren Bleibeaussichten gewichtet. 77 Prozent der Asylbewerber beteiligten sich an der Umfrage. Da die Teilnahme freiwillig war, ist allerdings denkbar, dass diejenigen, die nicht teilgenommen haben, ein niedriges Bildungsniveau haben, was den repräsentativen Charakter einschränkt. Dennoch zeigen die Zahlen aufgrund der hohen Beteiligung eine deutliche Tendenz: Es gibt eine Polarisierung der Flüchtlinge am oberen und unteren Bildungsrand. Das liegt vor allem an der Herkunft der Flüchtlinge: Kommen Flüchtlinge aus Kriegsländern wie Afghanistan, wo schon lange Bürgerkrieg herrscht, liegt dort das Schulsystem brach. In Ländern wie Syrien oder dem Irak war aber das Schulsystem bis zum vergangenen Jahr in vielen Regionen intakt.

Die erste Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ergibt auch, dass 46 Prozent aller Asylbewerber mit guten Bleibeaussichten ein Gymnasium oder sogar eine Hochschule besucht. Darunter sind z.B. Ärzte, die mit wenig „Anpassungsqualifizierung“ hier Arbeit finden können. 27 Prozent der Geflüchteten haben eine Mittel- oder Fachschule besucht. Und mindestens 25 Prozent der Flüchtlinge waren nur auf einer Grundschule oder haben gar keine Schulbildung.

Viele der Flüchtlinge seien hoch motiviert, je schneller sie in die Schule, in Sprach- oder Integrationskurse kommen, desto besser. Wenn ein Mensch lange aus dem Berufs- oder Bildungssystem raus ist, verliere er an Selbstbewusstsein, sagt Arbeitsmarktforscher Herbert Brücker vom IAB (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung): „Im Grunde haben wir in vielen Bereichen ein halbes bis ein ganzes Jahr verloren.“ Ein Angebot an Sprachkursen für Neuankömmlinge wurde z.B. erst Ende vergangenen Jahres aufgebaut, nachdem die gesetzlichen Grundlagen geschaffen wurden. Wertvolle Zeit, die verstrichen ist, dabei ist das Bildungspotential der Flüchtlinge sehr unterschiedlich.

Schlechter sieht es allerdings bei der Berufsbildung aus: Laut IAB-Analyse haben etwa 70 Prozent der Flüchtlinge keine abgeschlossene Berufsausbildung. Dieser Wert ergibt sich aus der Statistik der Bundesarbeitsarbeitsagentur und erfasst Arbeitssuchende aus den nicht-europäischen Asylherkunftsländern im Juli 2016. Zum Vergleich: Zum gleichen Zeitpunkt hatten 38 Prozent der deutschen Arbeitssuchenden keinen beruflichen Abschluss.

Der hohe Wert unter den Flüchtlingen geht laut IAB darauf zurück, dass es in deren Heimat kein duales Ausbildungssystem wie in Deutschland gibt. Experten rechnen damit, dass umfangreiche Nachqualifizierung notwendig ist, um das Potential zu heben.

Beobachter sehen den Integrationsprozess voranschreiten, wenn auch schleppend: Laut Einschätzung von Arbeitsmarktforscher Brücker werden in einem Jahr 10 Prozent der Flüchtlinge mit hoher Bleibeaussicht in Arbeit sein. In fünf Jahren könnte es voraussichtlich die Hälfte sein.

Stand: 22.08.2016, 13.00 Uhr