Abenteuer Erde | Wildes Ruhrgebiet

WDR Fernsehen

Abenteuer Erde | Wildes Ruhrgebiet

Film von Christian Baumeister

Hüttenwerk Duisburg Meiderich

Im Zeitraum von 1990 bis 1999 entstand rund um das alte Hüttenwerk Duisburg Meiderich ein einmaliger Natur-, Kultur- und Freizeitpark
© WDR/Light & Shadow GmbH

Auf den ersten Blick wirkt die Landschaft an der Ruhr wie ein kleines Paradies. Doch nirgendwo sonst in Deutschland hat der Mensch die Natur so gründlich seinen Interessen geopfert. Tiere führten über Jahrhunderte ein Nischendasein. Doch mit dem Rückgang der Industrie begann ein neues Kapitel im Ruhrgebiet: Pflanzen und Tiere erobern Stück für Stück zurück, was für immer verloren schien. Mehr noch: Industrieruinen und Brachen bieten anderswo vertriebenen eine neue Heimat und locken sogar Raritäten an, die man sonst kaum noch findet.

Das Ruhrgebiet ist der größte Ballungsraum Mitteleuropas. Zwar bedeckt es nur eine Fläche, die gerade mal doppelt so groß ist wie Luxemburg, beherbergt aber 10mal so viele Menschen. Fünf Millionen leben in 15 Städten, Metropole grenzt an Metropole. Stillgelegte Hüttenwerke ziehen einen Vogel magisch an, der aufgrund von Lebensraumverlust und DDT Vergiftung in Deutschland Ende des letzten Jahrhunderts fast ausgestorben war: den Wanderfalken. Nun brüten sie wieder, dank zahlreicher von Naturschützern angebrachter Nisthilfen. Oft zum Kummer der alteingesessenen Brieftaubenzüchter, die so manchen ihrer Lieblinge an den Neuankömmling verlieren.

Industrieruinen einfach stehen zu lassen ist im Ruhrgebiet nach dem Wirtschaftswandel oft die billigste Option. Seitdem die Industrie stirbt, erobert die Natur weitgehend ungestört verlorenes Terrain zurück. Birken wachsen in ehemaligen Möllerbunkern, der Fuchs zieht seine Jungen in einer alten Fabrikhalle groß, und der Steinmarder jagt Mäuse in einer stillgelegten Gießerei. Als einstiger Felsbewohner hat der im Lauf der Evolution gelernt, die Strukturen des Menschen für sich zu nutzen. Selbst dem Igel, der heutzutage in den aufgeräumten Vorstadtgärten kaum noch Unterschlupf findet, bietet ausgedienter Bergbauschrott ideale Plätze zum Verstecken und zur Jungenaufzucht.

Abraumhalden beraubten einst, als grauschwarze Hügel, die Landschaft jeglicher Lieblichkeit. Nun sind die immer grüner werdenden Tafelberge beliebte Ausflugsziele in der von Natur aus eher flachen Region. Erstaunlicherweise zieht der harte, verdichtete Boden auch seltene Tiere an. In lauen Frühlingsnächten erklingt auf Halden und Brachen ein lautstarkes Konzert: Denn Kreuzkröten bevorzugen Laichgewässer die so kurzlebig sind, dass sich keine gefräßigen Fische ansiedeln können. Nach Regenfällen bieten ihnen die große Pfützen auf den zahlreichen Halden und Brachen genau das. Da sie nicht versickern sind sie gerade so langlebig, dass die Kaulquappen sich entwickeln können. Hierzu brauchen sie nur drei Wochen – ein Rekord in der Amphibienwelt. Auch die Ödlandschrecke, eine weitere Seltenheit, findet auf den heißen Schotterflächen ein ideales Terrain für ihre Balz. Ödland ist heutzutage so selten, dass auch die Insekten stark zurückgegangen sind.

Während sich die Ödlandraritäten oft im Verborgenen verstecken, sorgen die größten Tiere des Ruhrgebiets jeden Herbst für lautes Spektakel. Die einst zur Deckung des Holzbedarfs im Bergbau angepflanzten Wälder der Üfter Mark bleiben heute weitgehend sich selbst überlassen. Sie bieten die ideale Bühne für die Brunft der Rothirsche. Nirgendwo sonst in Nordrhein-Westfalen lässt sich das eindrucksvolle Ereignis besser beobachten.

Dies sind nur einige Beispiele von vielen, mit denen Christian Baumeister in einfühlsamen Bilden den faszinierenden Wandel einer Landschaft portraitiert: Jahrzehntelang wurde im Ruhrgebiet das unterste nach oben gekehrt, die Luft verpestet, das Land geschunden. Die Zeche für den Raubbau bezahlte die Natur.

Doch dank ihrer unglaublichen Regenerationskraft gelingt es ihr, selbst aus Ruinen das Beste zu machen. Das Ruhrgebiet ist die Bühne einer unglaublichen Verwandlung: vom Kohlenpott zur Heimat für tierische Spezialisten und Anpassungskünstler. Wer den Wandel zu nutzen versteht, für den ist das Land an der Ruhr noch heute ein ideales Revier.

Redaktion: Gabriele Conze

Stand: 02.12.2016, 12.05 Uhr