Asylsuchende an der EU-Außengrenze an geheimen Orten eingesperrt und misshandelt

ARD-Magazin MONITOR

Asylsuchende an der EU-Außengrenze an geheimen Orten eingesperrt und misshandelt

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Sicherheitskräfte entlang der EU-Außengrenze in Bulgarien, Ungarn und Kroatien nutzen geheime Orte wie gefängnisartige Verschläge oder Schiffscontainer um Flüchtlinge gefangen zu halten. Oft werden die Schutzsuchenden dabei misshandelt, bevor sie über die Grenze zurückgezwungen werden. Das zeigen gemeinsame Recherchen des ARD-Politikmagazins MONITOR mit Lighthouse Reports, Der Spiegel, Sky News, Le Monde, Domani, SRF, und RFE/RL Bulgaria.

Im Rahmen der europäischen Recherche-Kooperation ist es erstmals gelungen, die Existenz solcher Orte nachzuweisen, darunter ein vergitterter, baufälliger Verschlag auf dem Gelände einer Station der bulgarischen Grenzpolizei. Auf verdeckten Aufnahmen ist zu sehen, wie mehrere Menschen von Abfall umgeben auf dem Boden ausharren müssen, bis sie dann in Autos gebracht und weggefahren werden. Aussagen von Flüchtlingen zufolge würden Asylsuchende hier teilweise mehrere Tage lang ohne Wasser und Essen eingesperrt. Im Anschluss bringe die Polizei die Menschen wieder zurück an die Grenze und zwinge sie, in die Türkei zurückzukehren.

Der Rechtswissenschaftler Constantin Hruschka vom Max-Planck-Institut München sieht in solchen Praktiken einen mehrfachen Verstoß gegen geltendes Recht: “Es ist ein absoluter Rechtsverstoß, denn vom Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung darf ich unter keinen Umständen abweichen”, so Hruschka. Darüber hinaus handele es sich um eine rechtswidrige Freiheitsentziehung, die Menschen im Anschluss ohne jegliches Verfahren über die Grenze zurückzuweisen sei ebenso rechtswidrig.

Besonders brisant: Diese illegalen Inhaftierungen finden offenbar direkt unter den Augen der EU-Agentur Frontex statt. Frontex ist für die Grenz- und Küstenwache der Europäischen Union zuständig und auch in Bulgarien aktiv. Interne Dokumente, die MONITOR einsehen konnte, zeigen: Im Ort der Station der bulgarischen Grenzpolizei sind im Rahmen der “Operation Terra” auch zehn Frontex-Beamte stationiert. Immer wieder wurden auch vor Ort parkende Frontex-Fahrzeuge dokumentiert. Journalisten konnten dort mehrmals parkende Frontex-Autos filmen - in Sichtweite zu dem Verschlag, in dem zur gleichen Zeit Flüchtlinge unter unwürdigen Bedingungen eingesperrt waren. Der Direktor von Human Rights Watch Deutschland, Wenzel Michalski, hält es für die Pflicht der Frontex-Beamten, die Praktiken der bulgarischen Grenzbehörden zu unterbinden: “Wenn sie darüber schweigen, machen sie sich mitschuldig, insofern ist Frontex ein Teil des Problems.”

Frontex schreibt auf Anfrage, dass Frontex-Beamte die bulgarische Grenzpolizei in dem Gebiet lediglich bei der Überwachung der Grenze unterstützten. Die beschriebenen Zustände seien bei ihnen nicht registriert, man werde die Informationen aber weiterleiten. Die Agentur verweist darauf, dass Frontex-Beamte bei all ihren Handlungen den Schutz der Grundrechte sicherstellen würden. Außerdem seien Frontex-Beamte dazu verpflichtet, jegliche Grundrechtsverletzungen zu melden.

Bulgarien ließ konkrete Fragen zu den Recherchen unkommentiert. Bei einer Pressekonferenz am vergangenen Montag verwies der bulgarische Innenminister Ivan Demerdzhiev lediglich auf eine steigende Aggressivität auf Seiten der Migranten. Die bulgarischen Grenzbehörden würden jedoch stark auf eine menschenwürdige Behandlung achten.

In Ungarn deckte die Recherche-Kooperation ähnliche Praktiken auf: Aufnahmen zeigen, wie Menschen von der ungarischen Grenzpolizei mit Schlagstöcken zu Schiffscontainern getrieben werden. Flüchtlinge berichteten, dass sie über viele Stunden in solchen Containern eingesperrt worden seien, auch hier ohne Wasser oder Essen. Im Anschluss seien auch sie mit Bussen an den Grenzübergang gebracht und zurück nach Serbien gezwungen worden. MONITOR liegen mehrere Videos vor, die solche illegalen Pushbacks zeigen. Auch die Hilfsorganisation “Ärzte ohne Grenzen” dokumentierte zahlreiche Berichte von Menschen über den Einsatz dieser Container und kritisiert darüber hinaus eine zunehmende Gewalt gegen Asylsuchende an der ungarischen Grenze. Die ungarische Regierung widerspricht auf Anfrage allen Vorwürfen. Die ungarischen Beamten würden sich stets an EU-Recht halten, heißt es.

Für Wenzel Michalski von Human Rights Watch zeigen die Recherchen, dass auf Seiten der EU weiterhin kein Wille bestehe, den Schutz von Menschenrechten an der EU-Außengrenze durchzusetzen. “Man möchte anscheinend, dass die Behandlung der Migrantinnen und Migranten an den Außengrenzen so abschreckend ist, dass die Menschen erst gar nicht auf die Idee kommen, nach Europa zu kommen. Die Menschenverachtung, die uns da ins Gesicht schreit, ist enorm.”

Die EU-Kommission teilt auf Anfrage mit, man nehme Vorwürfe über „Fehlverhalten“ an den EU-Außengrenzen sehr ernst – verweist jedoch darauf, dass für die Einhaltung der Grundrechte an den Außengrenzen sowie die Aufklärung der Vorwürfe die jeweiligen Staaten verantwortlich seien. Erst im November hat sich die EU-Kommission dafür ausgesprochen, neben Kroatien und Rumänien auch Bulgarien in den Schengen-Raum aufzunehmen. Die Achtung der Grundrechte sei an der bulgarischen Grenze sichergestellt, hieß es von der Kommission.

Stand: 08.12.2022, 08.00 Uhr