„Operieren und Kassieren – Ein Klinik-Daten-Krimi“

Die Story im Ersten

„Operieren und Kassieren – Ein Klinik-Daten-Krimi“

Ob ein Patient operiert wird, hängt von seinem Wohnort ab - medizinische Gründe spielen häufig nicht die Hauptrolle für eine OP-Empfehlung. Zu diesem erschreckenden Ergebnis kommt ein Team von Journalisten und Wissenschaftlern im Auftrag des WDR. Die Auswertung der Daten des Statistischen Bundesamtes zu rund 130 Millionen Krankenhausaufenthalten und die Recherchen des Teams vor Ort ergeben ein alarmierendes Bild: Menschen aus einigen Regionen werden sehr viel häufiger operiert als anderswo, oft aus Profitinteresse.

Operieren und Kassieren

© WDR/Längengrad Filmproduktion GmbH

Osthessen ist die deutsche Metropole der Rückenoperationen. Auf 100.000 Einwohner kommen dort 2.709 Eingriffe an der Wirbelsäure (Durchschnitt der Jahre 2013-2015). Das ist fast dreimal mehr als im Bundesdurchschnitt. Nach Aussage der AOK-Hessen sind die Patienten in Osthessen nicht kränker als anderswo: „Wir haben die Hypothese, dass dort nicht alle Operationen nötig sind“, so Dr. Isabella Erb-Herrmann. Was hinter den auffälligen Ergebnissen steckt, zeigt die story im Ersten „Operieren und Kassieren“ (Montag, 19. Juni 2017, 22.45 Uhr) nach monatelangen Recherchen und Interviews mit Chefärzten und Insidern. In der Region gibt es offenbar einen Wettbewerb zwischen zehn Kliniken, der dazu führt, dass insbesondere schwere und teure Rückenoperationen in den vergangenen Jahren stark zugenommen haben.

Wie die Kliniken an immer mehr Patienten und Operationen kommen, schildern Insider vor Ort. Kliniken schließen Kooperationsverträge mit niedergelassenen Ärzten, die ihren Patienten nicht nur eine OP empfehlen, sondern sie in diesen Kliniken auch selbst operieren. Dafür erhalten die niedergelassenen Ärzte eine üppige Beteiligung an den Fallpauschalen (Klinikeinnahmen für die Behandlung), die ihnen für eine ein- bis zweistündige Operation zwei- bis dreitausend Euro bringt. Die Doku präsentiert einen vertraulichen Vertrag einer osthessischen Klinik mit zwei niedergelassenen Orthopäden. Ihnen gemeinsam wird hier für OPs ein Jahresverdienst von 500.000 Euro in Aussicht gestellt. Dazu kommen die Einnahmen aus der Praxis.

„Aus eins mach zwei“ – das Splitten von Operationen ist ein zusätzlicher Trick, an mehr Geld zu kommen. Der Zusatzverdienst, wenn zweimal operiert wird, obwohl eine einzige größere OP möglich gewesen wäre, beläuft sich oft auf mehrere tausend Euro. Die ahnungslosen Patienten müssen das doppelte OP-Risiko tragen. Der Chefarzt der Neurochirurgie am Klinikum Fulda, Prof. Robert Behr, kritisiert das OP-Splitting von Kollegen in anderen Kliniken. Als Zweitgutacher der AOK hat er viele OPs überprüft: „Es ist tatsächlich so, dass wir hier Patienten sehen, die hätten besser nicht operiert oder nicht so operiert werden sollen.“

Die AOK kann auffällige OP-Entwicklungen nicht großflächig untersuchen. Denn für jeden überprüften Fall, der nicht beanstandet wird, muss sie eine Aufwandspauschale von 300 Euro zahlen, was sich im Jahr zu Millionenbeträgen summiert. Für die großflächige Überprüfung von vielen grenzwertigen Operationen „fühlt sich tatsächlich niemand zuständig“, so Prof. Reinhard Busse von der TU Berlin. Eine wirksame Kontrolle überflüssiger Operationen findet nicht statt, so das erschreckende Fazit der TV-Dokumentation.

Sendetermin: Die Story im Ersten am Montag, 19. Juni 2017, um 22.45 Uhr: „Operieren und kassieren. Ein Klinik-Daten-Krimi“ – ein Film von Meike Hemschemeier, hergestellt von der Längengrad Filmproduktion im Auftrag des WDR, Redaktion: Ulrike Schweitzer.

Die Tools für die Datenanalyse wurden in Zusammenarbeit mit dem „Heidelberger Institut für theoretische Studien HITS entwickelt.

Stand: 19.06.2017, 10.45 Uhr