Geheime Datenbank der IAAF geleakt – Führende Experten: „Alarmierend, wie verbreitet Doping in der Leichtathletik ist“
Exklusive ARD-Recherche zum Weltleichtathletikverband
Geheime Datenbank der IAAF geleakt – Führende Experten: „Alarmierend, wie verbreitet Doping in der Leichtathletik ist“
Die Zahl der dopingverdächtigen Leichtathleten liegt höher als jemals gedacht – zu dieser Einschätzung kommen in der ARD-Dokumentation „Geheimsache Doping: Im Schattenreich der Leichtathletik“ weltweit führende Blutdoping-Experten nach der Analyse einer geheimen Datenbank des Weltleichtathletikverbandes IAAF. Die Liste mit mehr als 12.000 Bluttests von rund 5.000 Leichtathleten aus den Jahren 2001 bis 2012, darunter zahlreiche Olympiasieger und Weltmeister, hat die im WDR beheimatete ARD-Dopingredaktion gemeinsam mit der britischen Zeitung Sunday Times zunächst statistisch ausgewertet und dann führenden Blutdoping-Experten zur Begutachtung übergeben.
Autor Hajo Seppelt ist erneut auf Spurensuche gegangen und hat neue Hinweise auf weit verbreitetes Doping in der internationalen Leichtathletik gefunden.
© WDR/Hajo Seppelt
Auffällig ist, dass der größte Teil der Sportler, die in der Datenbank mit verdächtigen Blutwerten auftauchen, nicht sanktioniert worden ist. Nur gegen ein Drittel von ihnen läuft ein Verfahren oder sie sind bereits gesperrt. Die restlichen zwei Drittel sind nie überführt worden. Ein Missverhältnis, dass bei den Medaillengewinnern noch größer wird: Von 146 Medaillen, die von Athleten mit verdächtigen Werten errungen wurden, sind nur vier aberkannt worden. Michael Ashenden kritisiert die Anti-Doping-Politik der IAAF: „Sie hätte eigentlich sehen müssen, wie die schreckliche Wahrheit unter der Oberfläche aussah. So ist es meiner Meinung nach eine schamlose Vernachlässigung ihrer elementaren Pflicht, ihren Sport zu überwachen und die sauberen Athleten zu schützen.“
Robin Parisotto sieht ebenso vor allem den Weltverband in der Verantwortung: „Wer auch immer also innerhalb der IAAF und in einigen nationalen Verbänden für das Ergebnismanagement verantwortlich ist“, so seine Einschätzung, „hat offenbar keinen besonders guten Job gemacht.“
Der Weltleichtathletikverband IAAF weist jede Kritik am Ergebnismanagement zurück und betont, methodisch verlässlich zur Feststellung von Doping seien ausschließlich Analysen, die den strengen Testanforderungen des Biologischen Passes für Athleten folgen. „Jeder andere Ansatz, insbesondere das Nutzen von Daten, die über einen längeren Zeitraum zu verschiedenen Zwecken, unterschiedlichen Zielen und mit unterschiedlichen Analysemethoden erfasst wurden, ist nichts als Spekulation“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme.
Robin Parisotto und Michael Ashenden kennen diese Anforderungen und haben mit denselben Analysemethoden gearbeitet, die auch bei offiziellen Nachweisverfahren zum Einsatz kommen. Sie halten an ihrer Einschätzung fest.
Ein Vergleich der Ergebnisse der Auswertung der Datenbank zum Radsport macht deutlich, dass der Anteil auffälliger Blutwerte in der Leichtathletik in einigen Jahren sogar deutlich höher lag als im Radsport, der lange als die Sportart mit dem größten Dopingproblem galt. Robin Parisotto: „Es ist alarmierend, wie verbreitet Doping in der Leichtathletik ist. Trotz vieler Kritik hat der Radsport im Vergleich gut auf die Herausforderungen durch Doping rund um die Jahrtausendwende reagiert. Das muss die Leichtathletik nun auch. In dieser Hinsicht liegt sie vermutlich 10 oder 15 Jahre hinter dem Radsport zurück.“ Michael Ashenden: „Für mich sieht es so aus, dass die Leichtathletik heute in der gleichen teuflischen Situation ist wie der Radsport vor 20 Jahren.”
Bei einer Reihe von Athleten in der Datenbank waren die Blutwerte nach Expertenmeinung sogar lebensgefährlich. Michael Ashenden zieht den Vergleich mit Todesfällen junger Radfahrer in den neunziger Jahren durch mutmaßliche EPO-Verabreichung: „Ich befürchte, es könnte eine noch größere versteckte Spur des Todes in der Leichtathletik geben. Einige dieser Athleten haben riskiert, an der Blutverdickung zu sterben.“
Die ARD-Dokumentation „Geheimsache Doping: Im Schattenreich der Leichtathletik“ (Samstag, 1. August, 17.05 Uhr, Das Erste) ist unter folgendem Link in der Mediathek Das Erste abrufbar:
www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/geheimsache-doping-110.html
Stand: 01.08.2015, 18.00 Uhr