Die Gutachterrepublik.
Wenn das Recht auf der Strecke bleibt.

„Die Story im Ersten“

Die Gutachterrepublik.
Wenn das Recht auf der Strecke bleibt.

Ein Film von Jan Schmitt

Marnie Gröben arbeitete als Reitlehrerin

© WDR/privat

Marnie Gröben arbeitete als Reitlehrerin. Der Tritt eines Pferdes löste eine seltene Krankheit aus, in deren Folge die 22jährige ihr Bein verliert. Eindeutig ein Arbeitsunfall, sagt ein Gutachten der Uniklinik Düsseldorf. Doch die Unfallversicherung will nicht zahlen. Sie beauftragt ein Gegengutachten, und darin heißt es, ihre Krankheit habe psychische Ursachen. Nach fünf Jahren Leid und jahrlangem Kampf mit der Versicherung hat sie die Hoffnung auf Gerechtigkeit fast aufgegeben: „Ich habe immer gedacht, wenn so ein Unfall mal eintreten sollte, dann wird einem auch geholfen. Doch ich war perplex als ich merkte, dass es eben nicht so ist - was für eine Maschinerie da auch hinter steckt.“

Gutachter haben eine große Macht. Ihre „Urteile“ über Sachverhalte und Menschen haben weitreichende Folgen für das Leben der Begutachteten. Die ARD-Dokumentation „Die Gutachterrepublik“ geht in einer akribischen Recherche Fällen nach, spricht mit Betroffenen, Experten und Insidern. Sie beleuchtet ein offenbar gut eingespieltes System: Häufig werden Gutachter eingesetzt, um Interessen zu verfolgen – oft von Institutionen, meist gegen den Einzelnen. Und wer den Gutachter auf seiner Seite hat, hat gute Chancen, seine Interessen durchzusetzen – ob vor Gericht oder in staatlichen Institutionen. Experten sprechen von sogenannten „Gefälligkeitsgutachten“. Wer den Gutachter bezahlt, bekommt Recht?

Tatsächlich berichtet eine Insiderin, eine ehemalige Versicherungsmitarbeiterin, von regelrechten Gutachterinstituten, die Gutachter bei Bedarf vermitteln: „Das erlebt man, wenn man das ganze Programm jeden Tag auf dem Tisch hat, so wie ich. Und dann sieht man, dass immer wieder dieselben beauftragt werden.“ Ein anderer Fall spielt in Frankfurt, Umschlagplatz des großen Geldes. Hier arbeitete das so genannte „Bankenteam“. Für das Finanzamt spüren die Fahnder detektivisch hinterzogenen Steuern nach. Und darin sind sie extrem erfolgreich. Doch plötzlich sollen die Fahnder nicht mehr weiterarbeiten wie bisher, die Abteilung wird schließlich aufgelöst. Die Fahnder protestieren. Vergeblich. Am Ende ihres Kampfes gegen den Arbeitgeber stehen Gutachten, die gleich vier Steuerfahnder für psychisch krank und dienstunfähig erklären. Alle Gutachten von ein und demselben Verfasser. Gefälligkeitsgutachten? Tatsächlich stellt ein Gericht später fest: Der Gutachter hatte seine ärztliche Berufspflicht verletzt, er muss ein Bußgeld zahlen. Doch den Steuerfahndern hilft das nicht: Sie wurden für immer aus dem Dienst entfernt.

Experten wie der Berliner Versicherungsrechtler Hans-Peter Schwintowsky plädieren seit langem für die Anonymisierung des Verfahrens: „Also dafür zu sorgen, dass der Gutachter seinen Auftrag bekommt, aber nicht weiß, für wen er gerade gutachtet. Dann werden wir objektive Gutachten bekommen.“

Doch bis dahin, so das Fazit des Films, bleibt unser Recht, allzu oft auf der Strecke.

Redaktion: Petra Nagel, Martin Suckow

Aktueller Hinweis: Am Sendetag ließ die Unfallversicherung von Marnie Gröben, die Signal Iduna, mitteilen, dass es mit Frau Gröben zwischenzeitlich zu einer Einigung gekommen sei. Beide Parteien hätten sich auf eine abschließende Vereinbarung geeinigt, die von gegenseitigem Entgegenkommen geprägt sei.

Stand: 12.05.2015, 09.35 Uhr