„Wer seine Kinder liebt, der züchtigt sie….“
Dokumentation über Prügel als Erziehungsinstrument
„Wer seine Kinder liebt, der züchtigt sie….“
In einer 45-minütigen Dokumentation zeigt die ARD die Historie von Prügel als Erziehungsinstrument. Es geht um die Zeit, als Schläge mit Rohrstock, Teppichklopfer oder Ledergürtel in den Familien und Schulen ganz selbstverständlich zur Erziehung dazu gehörten.
Körperliche Züchtigung durch Lehrer war bis 1973 nicht verboten
© WDR/akg-images
„Wer seine Kinder liebt, der züchtigt sie….“ Dieser Satz, den viele Erwachsene aus der eigenen Kindheit kennen, hat zuletzt traurige Aktualität bekommen. In Bayern haben die Behörden mehrere Kinder der „12 Stämme“ in Obhut genommen, weil Prügel mit Rohr und Rute in der umstrittenen Glaubensgemeinschaft auch im Jahr 2014 als Erziehungsmittel noch ganz offen und selbstverständlich eingesetzt werden. Tatsächlich ist es in Deutschland erst seit dem Jahr 2000 gesetzlich verboten, Kinder zu prügeln. Erst mit den Reformbewegungen seit Ende der 1960er Jahre setzte sich allmählich ein anderes Verständnis von Kindererziehung durch. Wer heute sein Kind schlägt, kann angezeigt und bestraft werden. Noch 1997 scheiterte ein umfassendes Verbot von Gewalt gegen Kinder an der schwarz-gelben Koalition und dem Argument, das Erziehungsrecht der Eltern werde dadurch zu sehr eingeschränkt.
In einer 45-minütigen Dokumentation zeigt die ARD die Historie von Prügel als Erziehungsinstrument. Es geht um die Zeit, als Schläge mit Rohrstock, Teppichklopfer oder Ledergürtel in den Familien und Schulen ganz selbstverständlich zur Erziehung dazu gehörten und es hieß: „Eine Tracht Prügel hat noch niemandem geschadet“. Denn die meisten Kinder und Jugendlichen sprachen nicht über das, was Eltern und Lehrer ihnen antaten – und leiden bis heute darunter. Viele Geschlagene schämten sich, andere nahmen die Prügelstrafe als „normal“ hin. Kein Wunder: Noch 1968 musste das Bundesverfassungsgericht darüber verhandeln, ob die Rechte des Grundgesetzes für Kinder überhaupt Gültigkeit haben.
Der Film begleitet drei Menschen, die zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Systemen massiv geprügelt worden sind. Tilman Röhrig (Jg. 46) wurde regelmäßig von seinem Vater, einem evangelischen Pfarrer, gezüchtigt. Getreu dem alttestamentarischem Motto „wer seine Rute schonet, der hasset seinen Sohn“ wurde Tilman mit der Reitpeitsche blutig geschlagen und musste danach trotz allem die Liebe zum Vater bekennen. Weder Schule noch Nachbarn in Essen nahmen in den 50er Jahren Anstoß an den Strafaktionen seines Vaters. Auch bei Helga G. (Jg. 40) schauten die Nachbarn weg, wenn ihre Mutter zuschlug. Sie wuchs im Saarland in einer Familie von Anhängern des Nationalsozialismus auf. Prügel gehörten hier zum Alltag. Der Onkel, ein ehemaliger SS-Mann, ließ alle Kinder zur Züchtigung antreten. Die Mutter schlug die Tochter das letzte Mal, als Helga schon 23 Jahre alt war, wenige Tage vor ihrer Hochzeit. In der Schule waren es die Nonnen, die Helga mit Stockschlägen auf die Hände traktierten.
In der DDR war körperliche Gewalt gegen Kinder zumindest offiziell verpönt, zwar nicht gesetzlich verboten, aber es galt: Prügel widerspricht der sozialistischen Erziehung. Lehrern war das Schlagen mit der ersten Schulverordnung in der Sowjetischen Besatzungszone 1947 verboten. Doch nicht alle hielten sich daran. So hat es auch Lutz Stiller (Jg. 59) erlebt. Einigen Lehrern an seiner Schule saß die Hand recht locker. Zu Hause litt er unter den Wut- und Prügelattacken seiner überforderten Mutter, die ihre vier Kinder in Leipzig alleine großzog.
Die Prügel in der Kindheit haben alle drei geprägt – die eigene Wehrlosigkeit, die Demütigung, das Wegschauen von Nachbarn und Verwandten. Tilman ist Schauspieler und Schriftsteller geworden, hat so die Anerkennung gefunden, die er zu Hause nicht bekam. Eigene Kinder hat er keine, das habe er nicht gewagt. Helga hat ihre eigene Familie Halt gegeben und die ehrenamtliche Arbeit in der Telefonseelsorge und im Krankenhaus. Ihre Tochter und ihren Sohn hat sie nie geschlagen. Und Lutz hat im Erwachsenenalter gänzlich mit seiner Mutter gebrochen, die ihn auch da noch maßregeln wollte.
Die drei Protagonisten werden von einem vielstimmigen Chor ergänzt. Männer und Frauen unterschiedlicher Generationen erzählen, wie verbreitet noch lange die Überzeugung war, dass Kinder nur mit Schlägen erzogen werden können und wie sehr Kinder darunter leiden mussten.
Die Idee für den Film hatte Ingrid Müller Münch, deren Buch: „Die geprügelte Generation – Kochlöffel, Rohrstock und die Folgen“ 2012 im Klett-Cotta Verlag erschienen ist.
Eine Produktion von doc.station Hamburg.
Ein Film von Erika Fehse
Sprecher: Joachim Krôl
Redaktion: Gudrun Wolter, Johanna Holzhauer (WDR)
Stand: 10.03.2014, 11.00 Uhr