Hochwirksames unbekanntes Dopingmittel aufgetaucht - Nachweis nicht möglich

WDR-Recherche stellt Russlands Dopingbekämpfung in Frage

Hochwirksames unbekanntes Dopingmittel aufgetaucht - Nachweis nicht möglich

Wenige Tage vor Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Sotschi wecken WDR-Recherchen erhebliche Zweifel an einer glaubwürdigen Dopingbekämpfung im Land des Olympiagastgebers.

Doping

© WDR/Imago

In der ARD-Sportschau (ARD, heute, 02. Februar 2014, 18.00 Uhr) und der WDR-Sendung „Sport Inside“ (WDR, morgen, 03. Februar 2014, 22.45 Uhr) decken WDR-Reporter Geschäfte eines russischen Wissenschaftlers mit einem bisher nicht bekannten Dopingmittel auf. Der international renommierte Mitarbeiter der Russischen Akademie der Wissenschaften mit Sitz in Moskau bot den verdeckt arbeitenden Reportern das Molekül Full Size MGF zum Kauf an, das an einer renommierten Forschungseinrichtung in Russland bezüglich seiner biochemischen Wirkung erforscht wird. Die Substanz wirke im Muskel doppelt so stark wie ein herkömmlicher Wachstumsfaktor und könne von keinem Dopingfahnder aufgespürt werden, bewarb der Wissenschaftler das Mittel.

Nach ersten biochemischen Untersuchungen in Deutschland wurden Echtheit und Reinheit laboranalytisch bestätigt. Es handelt sich demnach um den Wachstumsfaktor Full Size MGF, der bisher nur in der klinischen Testphase I im Tierversuch erprobt wurde. Der Kölner Dopinganalytiker Mario Thevis vom WADA-akkreditierten Kontrolllabor an der Deutschen Sporthochschule geht davon aus, dass die Substanz in der Dopingszene auf intensive Nachfrage stoßen dürfte: „Es ist dem Wachstumsfaktor IGF 1 ähnlich und als sehr hochwirksam einzustufen“, sagte Thevis dem WDR. Vor allem ein intensiver Muskelaufbau könne damit beschleunigt werden. Thevis warnt vor dem Missbrauch des Moleküls im Sport: „Für dieses Mittel besteht keine klinische Zulassung. Es hat bisher nur wenige Tests dazu gegeben. Das gesundheitliche Risiko für einen Menschen ist daher nicht abschätzbar.“

Full Size MGF ist nach WDR-Informationen mit den derzeitigen Analyseverfahren nicht in Dopingproben zu finden. Somit ist der Nachweis auch im Kontrolllabor in Sotschi bei den in dieser Woche beginnenden Olympischen Winterspielen unmöglich. Das räumte auch der Direktor des für die Kontrollen in Sotschi zuständigen Labors, Grigory Rodchenkov gegenüber dem WDR ein.

Der Generaldirektor der Welt-Anti-Doping-Agentur, David Howman, zeigte sich entsetzt von den WDR-Recherchen und glaubt nicht an dopingfreie Winterspiele in Russland: „Es wäre naiv zu glauben, dass alle Athleten in Sotschi sauber sind. Da gibt es viele, die sind überzeugt, dass die Substanz, die sie nehmen, nicht nachweisbar ist.“ Die Vorgehensweise des Forschers der Russischen Akademie der Wissenschaften hält Howman für kriminell: „Es ist schockierend, dass ein Wissenschaftler Substanzen anbietet, die bisher noch nicht einmal an Menschen erprobt worden sind. Die Sportler werden so zu Versuchstieren“, sagte er dem WDR.

Das IOC plant, in Sotchi 2453 Dopingproben zu nehmen, mehr als jemals bei Olympischen Winterspielen. IOC-Präsident Thomas Bach bezeichnete dies als „härtesten Anti-Dopingkampf jemals bei Olympischen Spielen“. Zu Beginn der Woche waren bereits zwei russische Biathletinnen, darunter die Gesamtweltcupsechste Irina Starych, mit positiven A-Proben aufgefallen.

Stand: 02.02.2014, 15.30 Uhr